SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

21JAN2024
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Wir hören gleich das Lied einer verliebten Seele. Tausend süße Worte findet sie für ihren Angebeteten. Sie hat nur Augen für ihn und seine Schönheit und hört nicht auf zu schwärmen. Als Außenstehende kommt mir das zunächst übertrieben vor. Peinlich berührt bin ich von den blank liegenden Gefühlen. Aber je länger ich dieser Stimme zuhöre, regt sich auch ein bisschen Neid. Diese Innigkeit lässt sich nicht beirren, und sie berührt mich. Die Worte gehen ihr nicht aus, sie fließen beständig aus ihr heraus, kaum kommt sie nach, den Geliebten zu preisen: „Schön und herrlich, groß und ehrlich, reich an Gaben, hoch und sehr prächtig erhaben!“ Und dann die Überraschung: Der geliebte Bräutigam ist kein Geringerer als Jesus. 

Wie schön leuchtet der Morgenstern
voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn,
die süße Wurzel Jesse.
Du Sohn Davids, aus Jakobs Stamm,
mein König und mein Bräutigam,
hast mir mein Herz besessen.
Lieblich,
freundlich,
schön und herrlich,
groß und ehrlich,
reich an Gaben,
hoch und sehr prächtig erhaben.

Der Dichter Philipp Nicolai nennt es „Ein geistlich Brautlied der gläubigen Seele von Jesu Christo, ihrem himmlischen Bräutigam“. Dabei formuliert er kühne Wünsche, projiziert auch erotische Bilder. Das hat dann leider dazu geführt, dass in der Geschichte des Liedes viele Textzeilen geglättet, man könnte auch sagen, verstümmelt wurden. Und selbst in der aktuellen Ausgabe des Evangelischen Gesangbuchs sind nicht alle Strophen in ihrer ursprünglichen Fassung abgedruckt. 

In der vierten Strophe zum Beispiel wird die Bitte laut: „Nimm mich freundlich in dein Arme und erbarme dich in Gnaden.“ Das wirkt ziemlich spröde, wenn man sich den Originaltext herholt. Da fleht die liebende Seele nämlich: „Nimm mich freundlich in dein Arme, dass ich warme werd‘ von Gnaden.“  Wie schade, dass man diese Glaubenswärme ersetzt hat!  

Zum Glück blieb die folgende Strophe aber unverändert. Sie bittet zum Tanz und öffnet endlich auch den Raum für alle, die sich mitnehmen und ja, erhitzen lassen. 

Zwingt die Saiten in Cithara,
und lasst die süße Musica
ganz freudenreich erschallen:
Dass ich möge mit Jesulein,
dem wunderschönen Bräut’gam mein
in steter Liebe wallen.
Singet
Springet
Jubilieret
Triumphieret
dankt dem Herren,
groß ist der König der Ehren. 

Musikangaben: 
Text und Melodie: Philipp Nicolai (1599)

Aufnahme: Singer Pur, aus: Der Singer Pur Adventskalender. 24 Lieder zum Advent

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