Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

22JAN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Der Januar ist bei mir immer allgemeiner Aufräummonat. Der Schreibtisch wird aufgeräumt, Dateien und Fotos sortiert, die Buchhaltung der Imkerei auf Vordermann gebracht. Ich bereite die Steuer vor und miste aus: was brauche ich noch, was nicht. Kurzum: ich schaffe Ordnung. Dabei fällt mir immer das Mantra meines Freunds Valentin ein: „Ordnung ist das halbe Leben!“

Valentin ist es dann auch, der mir im Keller beim Sortieren hilft. Natürlich kommt er dabei auch wieder auf seine Lieblingslosung. Zu meiner Überraschung hängt er aber eine Frage dran: „Wenn Ordnung das halbe Leben ist, was ist dann die andere Hälfte?“

Ich komme ins Überlegen.

Beim Aufräumen versuche ich die Welt zu ordnen – zumindest meine kleine Welt zuhause. Aber auch im größeren Stil gibt es Beispiele für Ordnung: etwa die 10 Gebote aus der Bibel. Sie bieten Struktur und Orientierung und vermitteln auch Sicherheit in einem moralischen Sinne – was ist richtig und was falsch.

Aber Ordnung ist nie absolut. Von Regeln gibt es immer auch Ausnahmen. Das hat Jesus zumindest so vorgelebt. Er steht voll und ganz in der Tradition der 10 Gebote und doch ärgert er sich über die, die nur die pure Regel befolgen, aber kein Herz oder Verständnis für andere zeigen. Für ihn war Vergebung ein wichtiges Thema (vgl. Joh 8,1-11).

Ordnung ist eben das halbe Leben, daneben ist Platz für das andere halbe Leben: Platz für verschiedene Lebenswege, Platz für alles Neue, das mir begegnet, Platz für Fehler, die ich mache.

Ich glaube: Manchmal kann ein Zuviel an Ordnung auch kontraproduktiv sein. Ein anschauliches Beispiel sind die so genannten Gärten des Grauens. Da werden Vorgärten mit dicker Folie abgedeckt, auf die dann noch eine dicke Steinschicht kommt. Quasi Ordnung in Reinform. Aber: Pustekuchen! Irgendwann schafft es ein Löwenzahn und kämpft sich durch. Wenn ich seine Blüte inmitten der Steinwüste sehe, möchte ich am liebsten Applaus klatschen.

Ja, es braucht Ordnung. Sie gibt mir Sicherheit und Orientierung. Aber es braucht auch Platz für verrückte Ideen, ich brauche Freiraum, um Sachen auszuprobieren. Erst beide Hälften zusammen bilden das Leben in seiner ganzen Vielfalt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39180
weiterlesen...