SWR2 Wort zum Tag

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19JAN2024
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Große Liebe habe ich zum ersten Mal in der Kirche gespürt. Ganz konkret als Jugendlicher im Gottesdienst. Allerdings hatte das wenig mit Gott oder der Messe selbst zu tun. Das gab nur den Rahmen vor. Ich war 15 und schwer verliebt. Das Ziel dieser meiner Liebe war so alt wie ich und wunderschön. Jeden Sonntag saß sie mit ihren Eltern in der Kirche. Ganz vorne. So, wie es ihr gebührte. Sie ist so ein Mensch für die erste Reihe gewesen. Davon war ich damals überzeugt. Ich bin hinten gesessen, irgendwo in der riesigen Kirche meiner Heimatstadt, wo es ein bisschen dunkler war. Jeden Sonntag bin ich in den Gottesdienst. Freilich, weil ich das Bedürfnis dazu hatte, aber eigentlich wegen ihr. Um sie zu sehen, um vielleicht einen Blick von ihr zu erhaschen oder – noch besser – ein Zunicken oder gar ein Lächeln. In den Liedern, die gesungen wurden, habe ich sicherlich Gott verherrlicht, aber eigentlich sie. Wenn ich vor dem Allerheiligsten gekniet habe, dann habe ich eigentlich vor ihr gekniet. Wenn es darum ging still zu beten, dann habe ich nicht gebetet, sondern an sie gedacht. Wenn von der Liebe Gottes die Rede war, so habe ich nur die Liebe zu ihr im Sinn gehabt. Ich habe bei der Wandlung nicht auf den vom Priester empor gehaltenen Leib Christi geschaut, sondern auf ihren Rücken und ihren Hinterkopf und habe dort alles Anmutige der Welt entdeckt. Ich hätte alles für sie getan und stellte mir das auch so vor. Wie es nun mal so ist, mit 15, den Gefühlen und Sehnsüchten schutzlos ausgeliefert, habe ich mich diesen völlig hingegeben. Heute kann ich darüber schmunzeln, finde mein Fühlen sogar ein bisschen bedenklich, in jedem Falle kitschig. Damals aber war es der Mittelpunkt meines Lebens, dem ich alles untergeordnet habe.

Wir sind uns dann irgendwann sogar näher gekommen und ein Stück gemeinsam gegangen. Letztendlich habe ich das dann gründlich vermasselt. Danach haben wir uns aus den Augen verloren. Jeder hat seine eigene Richtung eingeschlagen.

Ich verbinde Gottesdienst und Kirche ganz stark mit dieser Geschichte und diesen Gefühlen. Wahrscheinlich, weil es dort angefangen hat. Wahrscheinlich, weil meine ungezügelte Verliebtheit irgendetwas mit Gott zu tun hat. Vielleicht ein religiöses Moment hat. Wie dem auch sei. Ich hoffe, es geht ihr gut und sie ist glücklich. Sie ist nicht mehr in meinem Leben. Gott ist geblieben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39168
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