SWR2 Wort zum Tag

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18JAN2024
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Kürzlich habe ich mich mit einer Freundin unterhalten, die derzeit etwas überlastet ist. Sie hat geklagt, dass ihr alles zu viel werde. Irgendwann ist dann der Satz gefallen, der häufig in solchen Gesprächen vorkommt: „Aber das ist ja alles Jammern auf hohem Niveau“. Das ist eine Aussage, die ich natürlich erstmal verstehen kann, aber sie regt mich auch auf. Denn ich weiß nicht, was das eigentlich soll. Sie klagt über ihren Kummer und relativiert ihn dann, indem sie behauptet, dass das gar kein wirklicher Kummer ist. Zumindest im Vergleich zu den Sorgen anderer. Das klingt edelmütig und weitblickend. Aber ich glaube, das ist es nicht. Mir kommt es so vor, als würde sie sich ein schlechtes Gewissen machen, weil sie unter keinen „richtigen Problemen“ leidet. Aber nur um dadurch ein scheinbar reines Gewissen zu bekommen, weil es ihr ja bewusst ist. Doch in Wirklichkeit wird sie von ihren Sorgen gequält und fühlt sich noch dazu schlecht, weil es irgendwie keine „richtigen“ Sorgen sind.

Das erinnert mich an etwas aus meiner Kindheit. Ich war das, was man ein „näschiges“ Kind nennt. Ich wollte eigentlich nur Spätzle essen, sonst nichts. Aber es wurde immer wieder verlangt, dass ich von allem probiere. Und zwar oft mit der Begründung, dass „Die Kinder in Afrika“ dankbar wären, wenn sie das hätten, was ich hatte. Das wären sie wahrscheinlich, aber bei mir hat es nur folgendes ausgelöst: Ich hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen, weil mir nichts geschmeckt hat. Zusätzlich fühlte ich mich dann noch schuldig, weil es anderen viel schlechter ging. Das Ergebnis war nicht, dass ich alles gegessen, sondern dass ich mich doppelt geschämt habe. Und den „Kindern in Afrika“ hat es auch nichts gebracht, dass sie dafür herhalten mussten mich zur Demut zu erziehen. Ähnlich scheint es bei diesem „Jammern auf hohem Niveau“ zu sein.

Ich denke, alle Sorgen sind erstmal echt. Auch wenn sie noch so klein scheinen, auch wenn sie bei uns natürlich oft aus unserem überschäumenden Wohlstand heraus entstehen. Wenn sie mir zusetzen, sind sie da. Indem ich sie relativiere, kann ich mich vielleicht als ehrlich oder achtsam inszenieren, aber die Probleme sind damit nicht gelöst, sondern eher vergrößert.

Wenn ich tatsächlich der Ansicht bin, dass meine Sorgen klein und nichtig sind und ich darunter leide, dass es mir zu gut geht, dann ist es wohl besser etwas an meinem Leben oder zumindest an meiner Haltung dazu zu ändern. Es könnte ein guter Anfang sein dankbar dafür zu sein, wie ich leben kann, anstatt mich deswegen schuldig zu fühlen. Und aus dieser Dankbarkeit heraus wirksam werden für die, denen es schlechter geht.

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