SWR4 Abendgedanken

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18JAN2024
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Zwei Frauen aus meinem Bekanntenkreis müssen gerade eine Wohnung von Verwandten auflösen. Sie erzählen mir oft davon, weil es sie belastet. Es tut ihnen weh, den persönlichen Besitz eines anderen Menschen anzutasten, auszusortieren und wegzuwerfen. Zumal im einen Fall der ehemalige Bewohner noch lebt und alles mit ansehen muss. Der sagt dann auch hin und wieder, wie gut er das eine oder andere jetzt noch gebrauchen könnte. Aber in seinem Zimmer im Pflegeheim ist dafür einfach kein Platz. Wenn eine Wohnung aufgelöst werden muss, bedeutet das immer einen großen Eingriff in das Leben von Menschen. Von meiner Mutter weiß ich, dass sie so lange wie möglich dort bleiben will, wo sie jetzt seit 55 Jahren lebt. Jeder Winkel in ihrem Zuhause weiß eine Geschichte zu erzählen. Ungezählte Erinnerungsstücke hat sie im Laufe der Zeit gesammelt. Sie stehen einfach nur da und müssen hin und wieder abgestaubt werden. Aber da steckt eben auch ihr Leben drin. Und so ein Foto von früher oder eine Hummel-Figur kann dann richtig wertvoll sein, weil sie ausdrückt: Das war dein Leben, du bist am Leben und hast noch dein eigenes Leben. Wenn jemand aus seiner Heimat ausziehen muss, gibt er einen großen Teil seiner Selbständigkeit auf. Er kann immer weniger bestimmen, was er wann tun will. Er gibt sich mehr und mehr in die Hände anderer, oft fremder Menschen. Das tut weh und ist schwer. Das verstehe ich nicht nur gut, sondern will mir das für mich selbst gar nicht vorstellen. Gleichzeitig weiß ich, dass es auch bei mir nur eine Frage der Zeit ist. Ich weiß es auch deshalb, weil ich mich für Beerdigungen oft mit einem Wort aus dem Johannesevangelium beschäftigt habe. Dort ist von der Wohnung bei Gott die Rede, besser gesagt von den Wohnungen[1], weil sich Johannes das offensichtlich ganz individuell vorstellt. Jeder bekommt nach diesem Leben seine persönliche Wohnung im Himmel. Die ist dann endgültig, die muss nicht mehr aufgelöst werden. Das ist ein schönes Bild, finde ich, eine gute Perspektive. Die Zeit bis dahin nütze ich, um mich vorzubereiten: aufs Loslassen und Abschiednehmen. Ich bin sicher, das hilft, wenn es soweit ist.

 

 

 

 

 

[1] Vgl. Johannes 14,1-6

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39154
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