SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

16JAN2024
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Kenne ich mich gut genug? Wahrscheinlich nicht. Denn immer wieder kommt es vor, dass andere sich über mich ärgern. Und ich merke es oft erst, wenn es schon zu spät ist. Dass ich wieder mal zu schnell war und damit anderen keine Chance gegeben habe, auch mitzumachen. Oder einen Plan gemacht habe, ohne ihn mit denen abzusprechen, die auch beteiligt sind. Wenn ich mich besser kennen würde, dann würde mir sowas vorher auffallen, nicht erst dann, wenn andere sich über mich ärgern.

Nun könnte ich ja denken: „Dem sein Problem, nicht mein’s!“ Aber so denke ich nicht, sondern suche dann schon auch bei mir, woran es liegt, dass eine Sache nicht gut läuft oder wir sogar aneinandergeraten. Und wieder mal erst dann merke, dass ich mich auch nach fast sechzig Jahren immer noch nicht gut genug kenne. Sonst würde mir das nicht passieren, denn mit Absicht mache ich’s nicht.

Im Laufe der Jahre habe ich einige Möglichkeiten entdeckt, wie ich die Eigenheiten von mir besser in den Griff kriege, die für andere anstrengend oder schwierig sind.

Menschen, mit denen ich zusammenarbeite und deshalb viel Zeit verbringe, ermutige ich zum Beispiel immer wieder, mir das möglichst offen und vor allem schnell zu sagen, wenn ich für sie zum Problem werde. Am besten natürlich, bevor sie sich zu ärgern beginnen. Denn gerade wenn es um meine eingefleischten Charaktermerkmale geht, brauche ich die Unterstützung anderer.

Ich bin so weit wie möglich bereit, Kritik an mich ran zu lassen. Das heißt, ich reagiere nicht beleidigt, und wehre mich auch nicht, sondern versuche zu verstehen, wie andere mich sehen. Und dann suche ich nach Kompromissen.

Besonders wichtig ist es mir, mich zu entschuldigen, aufrichtig zu zeigen, dass es mir leidtut, und dann die anderen zu bitten, es noch einmal mit mir zu versuchen. Und nochmals und nochmals, weil ich nicht von heute auf morgen ein anderer Mensch werden kann. Aber ich zeige, dass ich an mir arbeiten will. Das ist womöglich das Wichtigste bei der ganzen Sache. Und hat am Ende sogar was Religiöses. Zu wissen, dass ich nicht perfekt bin, dass andere anders sind, dass ich mich bis zum letzten Atemzug ändern kann – das verhindert, dass ich mich selbst überschätze und lässt mich demütig werden. Vor Gott.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39152
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