SWR4 Abendgedanken

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15JAN2024
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Meine Großmutter war eine fromme Frau. So habe ich das immer gesehen und auch gesagt, wenn mich jemand nach ihr gefragt hat. Das war oft der Fall, wenn andere wissen wollten, wie ich denn dazu kam, Priester zu werden. Oma Antonie wohnte nämlich mit meinen Eltern und mir zusammen, seit ich fünf Jahre alt war. In einer Wohnung, ich im einen, sie im zweiten Kinderzimmer. Wir waren immer zusammen, und dass sie einen Einfluss gehabt haben könnte, lag nahe. Am Kopfende über ihrem Bett hatte sie ein großes hölzernes Kruzifix und an anderer Stelle ein Ölgemälde vom guten Hirten. Etwas kitschig für meine Augen, so im Nazarener-Stil, wie das in einfachen Haushalten üblich war. Als meine Oma eben jung war, als sie 1900 geboren wurde. Für sie aber war das Bild heilig; ein Statement würde man heute wohl denken. Bis sie starb, hat meine Oma die Heilige Messe mitgefeiert, wann immer sie konnte, sonntags und werktags. Daheim hat sie gebetet, mehrmals am Tag, den Rosenkranz und andere Gebete, die sie kannte. Es gab auch ein Gebetbuch, aber das war zerfleddert, und sie hatte es nur in der Hand, weil sie sowieso alles auswendig konnte.

Wer nun aber denkt, das wären die Gründe, an denen ich festmache, dass sie fromm war, der irrt sich. Meine Großmutter hat sich für Äußerlichkeiten wenig interessiert. Und in religiösen Angelegenheiten schon gar nicht. Sie hat mich nie gedrängt mit ihr zu beten oder in die Kirche zu gehen; nicht ein einziges Mal. Sie ging, und wenn ich mitging, war’s ihr willkommen. Wir saßen in der Kirche auch nicht nebeneinander. Sie hatte ihren Platz und ich den meinen. Beim Friedengruß haben wir uns kurz einen Blick zugeworfen; dann hat der andere gewusst: „Friede sei mit dir!“ Ihr Leben als Christenmensch war weder auffällig noch gar aufdringlich. Alles spielte sich eher im Verborgenen ab. Ein bisschen so, wie’s an einer Stelle in der Bergpredigt Jesu heißt: Wenn du betest, geh in deine Kammer …[1]So war das.

Ich glaube schon, dass meine Großmutter mich beeinflusst und auch geprägt hat. Nicht, was sie geglaubt hat, sondern welche Haltung sie dabei hatte. Das hat für mich dem oft seltsam gebrauchten Wort „fromm“ eine schöne Bedeutung gegeben. Und so habe ich das Wort später auch immer verstanden und so gebrauche ich es bis heute.

                                                 

 

 

 

 

[1] Matthäus 6,6

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39151
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