Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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11JAN2024
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Wir hatten wirklich Glück! Und mit uns viele, viele andere Eltern. Weil unsere Kinder bei Heidi im Kindergarten waren. Fast zehn Jahre lang haben wir ihr unsere drei Kinder anvertraut. Jeder Morgen hat gleich begonnen. Heidi ist in die Hocke gegangen, hat jedes Kind angestrahlt, das zur Tür reingekommen ist und gesagt: „Guten Morgen, schön, dass Du da bist!“ Und dann hatte sie einfach Geduld und Zeit. Für die einen, die sich schwergetan haben mit dem Sprechen. Für die, die im Streit immer wieder aufeinander los sind. Für Kinder, die noch keinen Stift halten konnten. Und für solche, denen es schwerfiel, die Mama wieder gehen zu lassen. Für mich war es eine Freude ihr zuzuschauen, mit welcher Leidenschaft sie jedes einzelne Kind begleitet hat.

Ich habe die Diskussionen um frühkindliche Bildung und die Pisa-Studie Ende letzten Jahres verfolgt. Und ja, die Ergebnisse sind erschreckend. Viele Kinder können nicht gut lesen und rechnen. Nur: Wo beginnt dieses Problem? Bestimmt hängt es auch damit zusammen, wie wir Kinder in den ersten Lebensjahren fördern und welche Bedingungen es dafür gibt.

Heidi hat sich immer lieber als „Kindergärtnerin“ bezeichnet, nicht als Erzieherin. Sie hat die Kinder gerne mit einem Garten verglichen und gesagt: „Jede Pflanze wächst anders, mit jeder muss ich anders umgehen. Das lehrt uns, Geduld und Zeit zu haben.“ Und genau dafür fehlen heute die Voraussetzungen in nahezu allen Kindertageseinrichtungen. Es gibt viel zu wenig Fachpersonal und viel zu viel Bürokratie.

Unsere Kinder haben bei Heidi kein Englisch gelernt, es gab keinen Experimentierkasten und schon gar kein Tablet. Heidi hatte einen anderen Ansatz: Sie hat die Kinder immer spüren lassen: Du bist ein besonderes Kind, Du bist es wert, dass ich mir Zeit für Dich nehme. Dann kommt die Neugier von ganz allein: Was passiert mit dem Froschlaich, den wir aus dem Tümpel geholt haben? Was macht die Biene auf der Apfelbaumblüte? Warum bleibt mein Gummistiefel im Matschloch stecken?

In diesen Tagen geht Heidi in den Ruhestand, 30 Jahre hat sie den katholischen Kindergarten in meiner Heimatgemeinde geleitet. Es gibt einen Satz von Heidi, der mir in Erinnerung geblieben ist. Er drückt aus, worum es eigentlich geht, wenn man mit Kindern arbeitet. Sie sagt: „Wir müssen die Seele der Kinder wachsen lassen.“ Ich glaube, wenn die Seele wachsen darf, dann sind auch die Chancen groß, dass Matheaufgaben richtig gerechnet und Sätze fehlerfrei geschrieben werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39124
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