Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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10JAN2024
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In unserem Schrank stehen zwei besondere Tassen. Meine Kinder nennen sie die „Beten-Tassen“. Ich habe sie von einer Veranstaltung mitgebracht, es war ein Werbe-Geschenk. Auf diesen Tassen steht: „Mir reicht's, ich geh beten!“ Die Tassen haben etwas ausgelöst, das ich nicht erwartet hatte. Meine Kinder holen sie immer wieder ganz bewusst aus dem Schrank, wenn sie Tee machen. Ich dachte: So eine Beten-Tasse ist Jugendlichen bestimmt peinlich, und ich muss sie bald wieder aussortieren. Das Gegenteil ist der Fall. Meine Kinder animiert diese Tasse, lockere Sprüche zu machen. Zum Beispiel: „Ich nehm heute die Beten-Tasse, hilft vielleicht gegen Hausaufgaben.“ Oder: „Gib mir die Beten-Tasse, ich brauch sie dringender als du.“

Und manchmal passiert auch Folgendes: Wenn ich wieder einmal zu viel auf meinen Sohn einrede und sein Verhalten kommentiere, dann kann es gut sein, dass er aufsteht, mich angrinst und sagt: „Mama, mir reicht's. Ich geh beten“. Und dann verschwindet er in sein Zimmer. Ob er da wirklich betet, weiß ich nicht. Das ist auch nicht entscheidend. Für mich ist es das Signal: Jetzt ist es genug, jetzt braucht er Zeit und einen Raum für sich.

Ich finde, genau das passiert beim Beten. Da öffnet sich ein Raum. Ich kann mich dorthin zurückziehen, ich kann ruhig werden, ich kann erzählen. Einfach an Gott das abgeben, was mich gerade beschäftigt. Dazu braucht es keine eingeübten Formulierungen. Beten kann man so, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Ich selber habe mir angewöhnt, dass ich abends bete, wenn ich im Bett liege und mich in die Decke gekuschelt habe. Das ist für mich der Moment, wo ich meinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Um ins Beten reinzukommen, beginne ich immer mit dem Vaterunser. Und dann kommt all das, was mir gerade durch den Kopf geht. Manchmal bitte ich für jemanden, manchmal sage ich danke. Manchmal formuliere ich Gedanken, die ich sonst gerade keinem sagen kann.

Wenn die Kinder mal ausziehen und die Tassen bis dahin überlebt haben, dann packe ich sie ihnen in die Umzugskiste. Als Erinnerung daran, dass das eine Form von Beten sein kann. Zu sagen: „Mir reicht's“, wenn es mal zu viel wird. Sich dann einen Tee aufzugießen und sich, vielleicht grinsend, mit der Beten-Tasse zurückzuziehen.

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