SWR3 Gedanken

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14JAN2024
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Auf social media ist mir eine Quizfrage begegnet, mit der ich so meine Schwierigkeiten hatte, obwohl ich eigentlich vom Fach bin. Es ging um eines der bekanntesten Kunstwerke: das Deckengemälde von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom. Dort ist Gott als alter Mann dargestellt, wie er den Arm zu Adam dem ersten Menschen hin ausstreckt. Auch Adam streckt ihm seine Hand entgegen. Und jetzt die Quizfrage: Berühren sich die Fingerspitzen der beiden oder nicht?

Ich war der Meinung, sie berühren sich ganz leicht, weil Michelangelo bestimmt ausdrücken wollte, dass Gott mit uns Menschen immer in Verbindung steht. War aber falsch. Gott hat den Zeigefinger voll ausgestreckt, aber Adam knickt ihn leicht hab, so dass sie sich nicht berühren.

In einem der Kommentare wurde erklärt warum, und das hat mir gut gefallen. Der Maler wollte wohl ausdrücken, dass Gottes Angebot immer steht. Wie eine Oberleitung  kann man ihn verlässlich anzapfen, ihn ansprechen oder anklagen, sich Energie holen oder ein gutes Gefühl. Aber, man muss auch was dafür tun. Zumindest den kleinen Finger nach ihm ausstrecken.

Ich mag diese Erklärung, weil Gott darin so unaufdringlich rüberkommt. Und genau so habe ich ihn bisher erlebt. Es gab Zeiten, da hab ich den Kontakt zu ihm fast verloren: hatte einfach andere Interessen, keinen Kopf fürs Beten und Frust mit der Kirche. Aber ich habe Gott auch schon ganz nah bei mir gespürt: in der Stille eines Klosters, mitten in der Natur, auf dem Zeltlager oder als meine Kinder geboren wurden.

Gott macht ein Angebot. Und ich kann zugreifen – oder auch nicht. Aber selbst dann ist er nur einen Fingerbreit von mir entfernt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39078
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