SWR2 Wort zum Tag

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26DEZ2023
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Wie oft habe ich die Geschichte von der Geburt von Jesus schon gehört. Als Kind mit wechselnden Rollen in zahlreichen Krippenspielen! In wie vielen Weihnachtsgottesdiensten seither! Als Pfarrer habe ich sie oft selbst gelesen. Und auch vorgestern in der Christvesper habe ich sie wieder gehört. Von der Volkszählung, der Herbergsuche von Maria und Josef, der Geburt im Stall und auch dem Engel bei den Hirten in der Nacht.

„Fürchtet euch nicht!“, sagt der Engel in der Weihnachtsgeschichte mitten in der Nacht zu den Hirten auf dem Feld. „Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren!“

Dieser Ruf des Engels hat sich mir in diesem Jahr besonders ins Herz gelegt. Weil ich ansonsten, wenn ich es recht bedenke, eigentlich immer nur das Gegenteil höre. Nämlich: Fürchtet euch!

Dieser Ruf scheint die Welt derzeit wie eine allgemein gültige Parole zu durchziehen. Er wird auf furchtbare Weise laut in den Bomben und Granaten, die Russland mit seinem Angriffskrieg über der Ukraine niedergehen lässt. Im entsetzlichen Angriff der Hamas und dem daraus entstandenen Nahostkrieg. Allen, die eine andere Meinung als die chinesische Staatsführung haben, wird von Peking zugerufen: Fürchtet euch!

In Amerika wollen ein ehemaliger Präsident und seine Anhänger alle, die nicht so denken wie sie, das Fürchten lehren. Auch in Europa und in Deutschland gibt es Politiker und Parteien, die so denken und handeln.

Mir bereitet das große Sorgen. Wir leben im Zeitalter des Anthropozän. Das bedeutet: Der Mensch hat mit seiner Gestaltungskraft inzwischen Möglichkeiten, die enormes zerstörerisches Potential bergen. Die Atombombe war erst der Anfang. Der Klimawandel lässt es uns überall spüren. Und was die künstliche Intelligenz mit uns machen wird, weiß heute noch keiner.

Vieles ist wirklich zum Fürchten. Vielleicht sind darum die Diskussionen in unserer Gesellschaft oft so unglaublich aufgeheizt und gereizt. Weil die Probleme so groß sind, dass unter dem enormen Druck der Verantwortung, andere Meinungen und Haltungen sofort verteufelt werden. Die Angst, jetzt nicht das Richtige zu tun, bestimmt alles. Und lähmt.

Fürchtet euch nicht! Was für ein Wort, was für eine Zusage! Ausgesprochen von einem Engel. Einem Boten Gottes. Damals an die Hirten. Deren Leben war geprägt von Furcht und Sorge: Um ihren Lebensunterhalt. Um ihre Schafe, Weidemöglichkeiten für sie und Schutz vor wilden Tieren. Um einen sicheren Ort zum Schlafen mit einem warmen Feuer für die Nacht. Ihnen, genau ihnen, gilt diese wunderbare Zusage!

„Fürchtet euch nicht!“ Diese Zusage gilt auch für uns heute. Das wird mir im Nachdenken über die Weihnachtsgeschichte deutlich.

In einer befreundeten Familie ist der Vater schwer an Krebs erkrankt. Und von heute auf morgen ist alles ganz anders. Für die Frau, für die Kinder. Keiner, der es nicht selbst erfahren hat, kann ermessen, wie es ist, wenn man voller Hoffnung zum Arzt hinein gegangen ist und auf einmal voller Sorge wieder herauskommt. Da helfen keine medizinischen Erklärungen und auch keine Statistik. Wenn das Ende des Lebens auf einmal ganz nahe rückt. In diesem Moment neigt sich der Tag und das Dunkel der Nacht senkt sich herab. Für jeden und jede der Betroffenen. Und ebenso für alle Angehörigen.

Fürchtet euch nicht! Drei Worte. Voller Kraft, voller Hoffnung und voller Zuversicht. Hineingesprochen in die Lebenswirklichkeit von uns Menschen. Für mich sind es Worte des Lichts, die die Dunkelheiten von Angst und Sorge erhellen. Es sind Worte voller Wärme. Mitten hineingesprochen in die Kälte unserer Zeit. Starke Worte des Halts in Zeiten der Haltlosigkeit. Und auch das: Geleitworte auf dem Weg durchs Leben. Die man brauchen kann. Dann, wenn es darauf ankommt. Gerade in unserer Zeit. Sei es am Tag oder mitten in der Nacht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39051
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