SWR1 Begegnungen

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17DEZ2023
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Heike Reisner-Baral

Wolf-Dieter Steinmann trifft Pfarrerin Heike Reisner-Baral

Auf dem Weg zu Heike Reisner-Baral nach Pforzheim ist mir klar geworden. Ich mag den Advent. Weil ich einfach nicht aufhören kann, mir die Welt heller zu wünschen. Ich kann verstehen, wenn Sie das nicht mehr können. Aber mir geht es wie Heike Reisner-Baral. Bei ihr steht der Advent auf der Beliebtheitsskala zwischen 0 und 10 weit oben.

Im Laufe meines Lebens ist die Skala gewachsen und ich bin bei 8 gelandet. Ich liebe den Advent und ich kann es dann, wenn November wird, kaum erwarten, dass es beginnt und losgeht.

Manches daran kann auch nerven. Es ist ihr manchmal zu viel Halligalli. Und wie viele hat sie - als Pfarrerin - ja auch Stress. Trotzdem engagiert sie sich für ihr „Advent anders“. Sonntagnachmittags ist in der Pforzheimer Schlosskirche Zeit zum Aufatmen.

Wir liegen in der unmittelbaren Nähe zum Mittelaltermarkt und zum Weihnachtsmarkt. Wir haben also auch fußläufiges Publikum und wir legen Wert darauf, dass wir immer besondere Musik haben, Folkmusik, wir haben Jazz, wir haben Gospel und es gibt dazu kurze Impulse. Es gibt 2 Gebete, das Vaterunser und den Segen.

Und die Kirche ist voll. Ich habe auch dieses Bedürfnis nach Segen. Das Leben und die Welt kosten Kraft. Ich glaube, viele spüren das. Heike Reisner-Baral auch.

Ich hab den Eindruck, dass wie so ne Glocke über diesem Advent schwebt. Ja auch ne Traurigkeit. Aber ich spür auch, dass die Menschen und auch ich selber viel sehnsüchtiger auf das warten, was da kommen wird. Und dieser Bibelspruch: ‚Das Volk, das im Dunkeln wandert, sieht ein helles Licht.‘
Ich merk, es fasst mich an, aber nicht nur mich, sondern auch die Menschen sehnen sich und möchten auch Hoffnungsworte mit nach Hause nehmen.

Es hat wohl auch mit dem Älterwerden zu tun. Mehr Lebensjahre bringen auch mehr Risse und Brüche. Mit 50  60 kann man mehr Advent gut brauchen.

Dass viele Schicksalsschläge auch da sind: Also Freunde, Freundinnen, die sterben, Eltern, die alt werden, Dinge, die sehr viel tiefer gehen. Und da nimmt auch die Sehnsucht zu und ich wünsch mir, dass das wieder ganz wird. Oder dass es irgendwo aufgehoben ist.

Hoffentlich gelingt das bei vielen. Auch beim Singen heute. Sie freut sich auf die Kirche im Farbenrausch. Auf neue und alte Lieder. Die singen sie übrigens via QR-Code vom Handy. Viele suchen das gemeinsame Singen: Da ist auch ein falscher Ton gut aufgehoben und miteinander hofft es sich leichter als allein.

Du guckst in strahlende Augen und Mann und Frau ist glücklich. ‚Oh du fröhliche, es ist ein Ros entsprungen, stille Nacht‘ das ist eine Sprache, die alt ist, aber die sich weitervererbt. Ich mach die Erfahrung, dass die Menschen Wert darauflegen, dass das nicht ausstirbt und dass sie in dieser Sprache alles ausdrücken können.

Heike Reisner-Baral liebt es aber nicht nur klassisch. Es gibt ja auch neue Weihnachtslieder. Sogar gute. Früher war Advent nicht so ihrs. Inzwischen kann Heike Reisner-Baral ihn kaum noch erwarten. In ‚ihrer‘ Schlosskirche in Pforzheim – da ist sie Pfarrerin – ist jeden Sonntag „Advent anders“. Heute: großes Singen.
Sie hat zwei Lieblingslieder. Das eine 400 Jahre alt, das andere 50. Verrückt, dass beide so viel gemeinsam haben. Stehen auf gegen Elend und für Frieden.

„Oh Heiland reiß die Himmel auf“, das schreit förmlich, dass endlich was passiert auf dieser Erde. ‚Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?‘ Ich mag das, dieses Jahr viel mehr noch als sonst.

Und das andere Lied, das ist Happy Christmas. (flüstert). Also ‚Happy Christmas‘ von John Lennon. Das ging eigentlich als Antikriegslied gegen den Vietnamkrieg. Ich krieg jedes Mal Gänsehaut, feuchte Augen. Ich krieg gleichzeitig gute Laune, ich könnte tanzen, weinen, singen, alles in einem. Und da wird Weihnachten.

Kenn ich. Aber hat Weihnachten nicht auch was Komisches? Dieses ‚alle Jahre wieder‘. Als ich jung war, haben mich diese Rituale aufgeregt. Heute suche ich das Verlässliche, weil sich eh alles ändert. Sie ist auch froh für ‚immer-wieder-Dinge‘: Herrnhuter Stern, Krippe, Plätzchen. Die backt ihr Mann.

Er backt nicht nur, das ist schon ein Festival des Backens. Er in der Küche steht und ich irgendwo am Laptop sitz und der Duft durch die Wohnung zieht.

Und dann „der Baum“: Noch so ein „alle Jahre wieder Ding“ bei vielen. Auch das ist bei Reisner-Barals sein Job.

Dann zieht er los mit dem Herz in der Hand, weil er gespannt ist auf das Urteil seiner Frau, ob er einen schönen Baum ausgesucht hat und ich glaube, das ist auch ein Ritual, dass es ein schöner Baum sein muss.

Im Zweifel kann man ihn auch schönreden. Wäre das dann Lüge? Ne. Vielleicht ist das auch Weihnachten: Dass wir uns selbst und unserer Welt Schönes zutrauen. Mehr Güte, Frieden.
Ja, ich weiß, Weihnachten kann auch weh tun. Man spürt, was fehlt. Heike Reisner-Baral findet trotzdem wichtig, dass Weihnachten sichtbar bleibt. Auch in ihrer Stadt. Muslime feiern, Atheisten.

Jeder macht was, jeder nimmt was mit. Und jeder gibt irgendwo auch was zurück. Und ich find es wichtig, dass das stattfindet und sichtbar stattfindet in einer Stadtgesellschaft.

Sie kann den Sinn des Festes in zwei Messages packen. Eine: „Weihnachten ist der Beginn einer wunderbaren Liebesgeschichte zwischen Gott und Mensch.“ Die zweite:

Was von vielen so unterschwellig beklagt wird, dass Menschsein verloren geht, diese Menschlichkeit und da find ich sehr schön: ‚Mach es wie Gott und werde Mensch.‘

Damit wir uns auch in der Woche bis Heiligabend als Mensch spüren können, rät sie: ‚Auszeiten schaffen.‘

Ich gehe jedes Jahr kurz vor Heiligabend zum Friseur. Und dann bin ich total im Glück, weil ich eine Atempause habe.  Nehmt euch tatsächlich Zeit, auch wenn ihr innerlich aufjault: ‚das geht überhaupt nicht‘, tut‘s.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38979
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