Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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12DEZ2023
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Manchmal habe ich das Gefühl, die Welt wächst mir über den Kopf.

Meine Freundin Sina kennt dieses Gefühl nur zu gut. Sie arbeitet als Lehrerin an einer Grundschule, und in ihrem Kollegium fehlen dauerhaft Leute. Deswegen muss Sina zwei Klassen auf einmal unterrichten. Ein Ding der Unmöglichkeit! Sina ist dauergestresst und hat das Gefühl, egal, was sie tut, es ist nie genug. 

Durch den ganzen Stress und die Dauerbelastung verliert Sina jetzt schneller die Geduld. Sie erzählt mir: „Die Kinder waren wieder so laut, ich war genervt und bin irgendwann explodiert. In der Pause ist dann meine Kollegin zu mir rüber gekommen. Sie hat mich durch die Wände nebenan wohl schimpfen gehört. Sie hat gesehen, wie runter ich war, und hat mir kurz die Hand auf die Schulter gelegt. Zum Glück!“

Wie Sina mir das so erzählt, denke ich: „Ja, die Kollegin hat eben gemerkt, was ihr jetzt guttun würde. Dass so ein kurzer, kleiner Beistand helfen kann.“ Und die Kollegin war noch nicht fertig. Am Nachmittag hat sie auf dem Weg zum Parkplatz nochmal mit Sina gesprochen. Sie hat ihr erzählt, was ihr hilft, mit dem Stress und den vielen Erwartungen umzugehen und hat Sina einen Satz eingebläut. Und der heißt: „Das Wenige, das du tun kannst, ist viel.“

Der Satz stammt eigentlich von Albert Schweitzer. Der Arzt und Theologe hat in seinem Leben unendlich viel auf die Beine gestellt. Er hat eine Krankenstation in Lambarene im afrikanischen Gabun gegründet. Und nach dem Zweiten Weltkrieg hat er sich ganz viel für Kinderdörfer eingesetzt.

„Das Wenige, das du tun kannst, ist viel.“ Sina sagt, dieser Satz hat etwas an ihrer Haltung verändert. Ganz grundsätzlich. Auch wenn die Dauerbelastung im Beruf immer noch da ist. Aber sie schaut jetzt mehr auf das, wo sie ihren Beitrag geleistet hat.

Es gibt so viele Baustellen und so vieles, was kompliziert ist und Menschen mehr als doppelt belastet. Da sind manche, die das fast schon lähmt, die verlieren darüber den Mut und resignieren. Und andere packen trotzdem an.

Dieser Satz kann neu Mut machen, und er kann beruhigen. Vielleicht vor allem diejenigen, die unermüdlich vieles geben und ständig so viel leisten. Und denen sicher auch mal vor Anstrengung der Kragen platzt.

Ich bin wie Sinas Kollegin überzeugt: Auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist oder sich so anfühlt: Das, was du tust, ist genug. Und das Wenige, das du tun kannst, ist viel wert. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38919
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