Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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19DEZ2023
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„Manche haben Gesichter, als wäre Schenken was Schlimmes.“ Das sagt die Frau neben mir in der Straßenbahn. Die Frau neben mir ist sichtlich geschafft, und hat doch nur noch eine Sache in der Stadt besorgen wollen, eigentlich hat sie ja schon alles. Viel Gedränge hat sie erlebt. Und eben Menschen, von denen sie sagt: „Manche haben Gesichter, als wäre Schenken was Schlimmes.“

Stimmt, denke ich: Für jeden bedeutet Schenken etwas anderes. Die Menschen scheinen sich aufzuteilen in die, die Geschenke mögen und die, die es als Pflicht oder Druck erleben. Ich bin zwischen den Stühlen: Wo Schenken überdimensioniert ist, wo es in Druck oder Erwartungshaltungen ausartet, da stimmt es für mich nicht. Aber ich freue mich über Geschenke immer noch wie ein Kind, vor allem, wenn es Überraschungen sind. Klein, aber persönlich. Und ich schenke gerne. Das Eigentliche ist für mich die Geste dabei. Schenken an Weihnachten hat damit zu tun, dass Gott sich selber schenkt. So kann Schenken nicht materiell oder mit Druck geschehen, sondern von Herzen und frei. Jemanden eine Freude machen. Sich freuen, wie die Menschen an der Krippe sich gefreut und etwas mitgebracht haben. Miteinander Menschlichkeit erleben – in allem, was in der Welt gerade los ist und was Druck und Unfrieden macht. Eine Erinnerung daran, dass Schenken mit Frieden, Hoffnung und Solidarität zu tun hat. Gott an unserer Seite. Solidarisch. Gott ganz klein, ungeschützt, uns geschenkt. Was machen wir daraus? Hoffentlich nicht nur Gedränge und Unfreundlichkeit, worüber die Frau in der Straßenbahn stöhnte. Sie hatte eine Kleinigkeit erworben: eine Wolle für den Schal, den ihr Enkelkind bekommen soll, den will sie noch fertig machen. „Es soll es warm am Hals haben und an mich denken können - ich hoffe, der Schal kommt gut an“, sagt sie.

Da bin ich sicher. Ich glaube, diese Frau schenkt etwas von sich selbst – wie der Dichter Joachim Ringelnatz es ausdrückt: „Schenke herzlich und frei. Schenke dabei, was in dir wohnt.“ Das geht auch jetzt noch. Ohne Druck -  frei und herzlich.

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