SWR4 Abendgedanken

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21NOV2023
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Jeder Mensch hat einen Namen. Und doch lag da einer vor mir, der gerade formal keinen mehr hat.

Ich war in Tübingen in der Anatomie der Uni-Klinik. Und mir war ehrlich gesagt ein bisschen mulmig zumute. Denn vor mir lag dieses sogenannte „Präparat“.

Mir widerstrebt es eigentlich, so zu sprechen, denn das ist ja ein Körper, ein Mensch, ein Verstorbener, der einen Namen hat.

Aber jetzt ist es nur noch ein Präparat mit einer Nummer.

Das klingt für mich erst einmal richtig schlimm. Wie kann man jemandem einen Teil seiner Persönlichkeit so wegnehmen, ja, ihn so entmenschlichen? Aber der Medizinprofessor dort erklärt mir, dass dies ein Schutz für die Studierenden ist. Diese werden im sogenannten Präparationskurs vieles, was sie nur theoretisch gelernt haben, zum ersten Mal hier praktisch an einem menschlichen Körper sehen und üben.

Sie werden diesen Körper „präparieren“, d.h. aufschneiden und genau betrachten.

Für viele von ihnen ist das sicherlich auch nicht einfach, weil sie zum ersten Mal einen toten Menschen vor sich haben. Aber gerade für sie, als angehende Mediziner ist es wichtig, dass sie einen professionellen Abstand lernen und diese Menschen erst einmal nur als Körper, ja als Präparat sehen.

Deshalb verliert jeder Mensch, der seinen Körper für die medizinische Forschung spendet, dort an der Pforte der Anatomie seinen Namen und bekommt eine Nummer.

Ich bin als Pfarrer dabei, weil es am Ende des Semesters eine Gedenkfeier geben wird, die ich mit den Studierenden vorbereite. Zu der werden dann die Angehörigen derer eingeladen, die ihren Körper für die medizinische Forschung gespendet haben.

Wunderschön an dieser Feier finde ich, dass dort deren Namen wieder verlesen werden. Sie bekommen dann sozusagen ihre Namen zurück.

Sie bleiben zum Glück nicht namenlose Präparate, denn dies ist nur eine zweckmäßige Notwendigkeit.

Und die Gedenkfeier ist auch dafür da, „Danke“ zu sagen. Danke, dass es Menschen gibt, die Ihre Körper für die Medizin zu Verfügung stellen. Damit junge Studierende lernen können und so die Möglichkeit bekommen, gute Ärzte zu werden.

Ich finde es wichtig, dass es am Ende des Kurses die Möglichkeit zu so einer Feier gibt. Dass es eben nicht nur um Präparate und Unikurse geht, sondern um Menschen, um ihren Namen, um ihre Würde. Und die geht auch nicht verloren, wenn deren Körper präpariert wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38827
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