SWR1 Begegnungen

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19NOV2023
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Anja Bremer ist Pfarrerin aus Leidenschaft. Sie liebt die Vielfalt der Aufgabenfelder, die sie in ihrem Beruf beackern kann. Ihre größte Liebe aber gilt der Gestaltung von Trauerfeiern. Dabei kommt der Tod doch eigentlich immer zur Unzeit. Und der Termin für eine Beerdigung mit all ihren notwendigen Vorbereitungen auch.

Ich mache Beerdigungen sehr, sehr gerne. Das gibt mir ganz viel. Es ist etwas, wo ich den Eindruck habe, da bin ich ganz gefordert und kann ganz da sein. Und das ergibt ganz viel Sinn, wenn ich da begleiten kann.

Woher diese besondere Vorliebe bei ihr kommt? Vielleicht daher, dass der Tod im Leben von Anja Bremer schon viel zu oft unaufgefordert aufgekreuzt ist. Und ihr keine Chance gelassen hat, die Auseinandersetzung mit dem Sterben auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Mein Bruder ist ganz früh gestorben, mit 32, mein Vater mit 56. Ich hatte mal eine große Kopfoperation mit einem Tumor im Gehirn, mit 29. Dass ich lebe, dass ich heute lebe, das ist für mich jeden Tag auch wieder ein neues Geschenk.

Und dieses Geschenk gibt sie nun auf vielfache Weise in ihrer Arbeit als Seelsorgerin zurück:  Anja Bremer geht ohne Scheu und mit offenen Augen und Ohren in Gespräche mit Hinterbliebenen, sieht und hört genau hin. Sie hat Trostworte im Gepäck und Gebete. Manchmal sorgt sie aber auch für ganz handfeste Nahrung. So wie bei der Beerdigung der „besten Streuselkuchenbäckerin der Welt“:

Und ich habe dann am Abend vor der Bestattung Streuselkuchen gebacken und habe Päckchen abgepackt und habe die Trauerfeier zum Thema der drei wichtigstenZutaten für Streuselkuchen benannt. Das ist, glaube ich, sehr gelungen, weil wir dann zum Schluss am Grab miteinander Streuselkuchen gegessen haben.

Butter, Zucker und Mehl: Zutaten für duftende Streusel! Und weil für Anja Bremer das Evangelium mitten ins Leben gehört, ist es bei ihr nur ein kurzer Weg von der Backstube hin zu Glaube, Liebe und Hoffnung. Diese biblischen drei, meint sie, sind nämlich die besten Zutaten für ein gelingendes Leben.

Und was mit der Nase gut funktioniert, klappt fast noch besser mit den Ohren. Anja Bremer weiß, dass auch die richtige Musik eine ganz wichtige Zutat ist, wenn eine Trauerfeier Menschen berühren soll.

Es macht großen Spaß, sich mit der Pfarrerin Anja Bremer über ihre liebevoll gestalteten Trauerfeiern zu unterhalten. Z.B. wenn sie erzählt, wie sie in einem Trauergespräch die ganze Zeit krampfhaft versucht hat, ihre rot lackierten Fingernägel zu verbergen, bis die Witwe plötzlich mit einem Blick darauf gesagt hat: „Das hätte meinem Heinz gefallen!“

Und als die Trauerfeier war, und ich will die Witwe und ihre Töchter begrüßen, in dem Moment hält sie mir beide Hände hin und die Tochter daneben auch. Und alle haben rot lackierte, knallrot lackierte Nägel. Also hatten wir dann mindestens 30 Finger an dem Tag, die knallrot waren, weil es Heinz so gut gefallen hätte. Und das sind schon auch ganz besondere Formen, zu erleben, wie Menschen auch in Resonanz gehen, wenn ich denn bereit bin, auch Resonanz zu bieten.

Anja Bremer will Menschen berühren. In Resonanz gehen bedeutet für sie, in den von Trauer gelähmten Seelen der Menschen wieder etwas zum Schwingen zu bringen. Und sie weiß: Musik ist da eine begnadete Türöffnerin. Manchmal transportiert ein Choral aus dem Gesangbuch Trost und Seelenwärme. Aber auch Leierkastenmänner haben bei ihr schon aufgespielt. Oder es gab Oasis. Und einmal auch Peter Alexander mit seiner „kleinen Kneipe in unserer Straße“.

Es heißt in dem Lied irgendwie, „da wo das Leben noch lebenswert ist und wo dich keiner fragt, was du hast oder bist.“ Na, christlicher geht es ja gar nicht!

Anja Bremer findet überall biblische Botschaften. Und so eine Entdeckerfreude wünscht sie auch ihrer Kirche. Wie schön wäre es, wenn die sich noch mehr als Dienstleisterin verstehen würde und immer weniger als „Amtskirche“.   

Und da muss ich sagen, erhoffe ich mir und wünsche mir immer mehr, dass die Kirche da noch durchlässiger wird, dass wir von der Erlaubnis doch stärker noch zur Ermöglichung kommen.

Nicht lange nachfragen, was erlaubt ist, sondern Dinge ermöglichen, die den Menschen dienen. Das wäre nach Anja Bremer denn auch so recht im Sinne von Jesus. Der hat einen kranken Menschen einmal gefragt: Was willst du, dass ich dir tun soll? Und sich dann am Wunsch seines Gegenübers orientiert und ihn geheilt.  

Macht sie sich eigentlich auch Gedanken über ihre eigene Beerdigung? Anja Bremer zeigt mir ihr frisches Tattoo am Unterarm:

Da steht der Name eines Liedes drauf: „Abide with me“, und das ist die englische Form von unserem deutschen Gesangbuchlied „Bleib bei mir, Herr“. Und mich berührt dieses Lied sehr. Und ich habe es bei mir, weil ich es als großen Schatz empfinde.

Eine schlichte Bitte, dass Gott sie auch in Momenten größter Not nicht allein lassen möge. Dieses Gebet auf dem Unterarm berührt mich sehr. Wie die große Ernsthaftigkeit, die sich bei Anja Bremer mit einer heiteren Gelassenheit verbindet. Und mit einem Augenzwinkern:

Ich erinnere meinen Mann regelmäßig daran, dass er, bevor ich mal eingeäschert werde, vielleicht noch mal auf meinen linken Unterarm guckt, welches Lied ich gerne gesungen hätte, falls er es vergessen hat. Das wäre sinnvoll. (lacht)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38802
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