SWR1 Begegnungen

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12NOV2023
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Frère Alois Foto: Marija Pokuklar

Caroline Haro-Gnändinger trifft Frère Alois, Prior der christlichen Ordensgemeinschaft von Taizé in Frankreich

Wir sprechen miteinander, weil er in ein paar Wochen aufhören wird als Prior, also als Leiter der Ordensgemeinschaft von Taizé im französischen Burgund. Dorthin kommen Protestanten, Katholiken, Orthodoxe oder auch Anglikaner und die Lieder von Taizé werden in vielen Kirchengemeinden gesungen. Ich will wissen, wie Bruder Alois, auf Französisch Frère Alois, zurückschaut und was für ihn persönlich und für den Orden jetzt ansteht. In das kleine französische Dorf zieht es seit den 1960er-Jahren viele tausende - vor allem junge - Leute aus aller Welt. Das freut ihn:

Inzwischen kommen manchmal die Enkelkinder von Omas und Opas, die als Jugendliche in Taizé waren. Also, das bleibt schon sehr erstaunlich und dafür bin ich am meisten dankbar.

Auch ich war als Jugendliche mehrmals dort. Mit einer Gruppe meiner Kirchengemeinde. Normalerweise ist man eine Woche dort, übernachtet im Zelt, das Essen wird aus riesigen Töpfen ausgegeben und jeder hilft mit. Eigentlich sehr schlicht, und in Zeiten von Reizüberflutung vielleicht gerade deshalb auch so anziehend für Jugendliche aus aller Welt und aus verschiedenen Milieus. Sie beten dort dreimal am Tag gemeinsam und tauschen sich über die Bibel und ihr Leben aus. Und auch die langen Minuten von Stille im Gottesdienst – ich kann es nicht genau beschreiben - aber das hat sich nach Glück angefühlt.

Immer wieder sagen Jugendliche am Ende einer Woche, dass die Stille das Wichtigste war und das ist ja eigentlich erstaunlich. Heute läuft man von der Stille weg, flieht die Stille.

Vielen fällt es in Taizé leicht, sich mit dem christlichen Glauben zu beschäftigen - so ging es auch mir: Woran glaube ich eigentlich genau? Und was heißt es im Alltag für mich, gläubig zu sein? Frère Alois erzählt, dass bei einigen auch Sorgen wegen Kriegen und Klimawandel hochkommen. In Taizé tanken viele Kraft für den Alltag.

Alle können kommen, eine Zeit lang hier sein und selbst sehen, was sie für sich entdecken, selbst auf die innere Stimme hören und selbst einen Weg finden. Also wir wollen nicht vorgeben, was getan werden soll, sondern das muss von den Menschen kommen.

Diese Offenheit hat auch Frère Alois damals angezogen. Mit 16 Jahren ist er aus Stuttgart zum ersten Mal hergekommen. Er ist etwas später eingetreten und mit 24 Jahren wurde er schon als späterer Prior ausgewählt. Von Gründer Frère Roger persönlich.

Das war eine ganz große Überraschung, als er zum ersten Mal mit mir darüber sprach, als ich sehr jung war. Und dann haben wir ganz selten nur darüber gesprochen. Er hat mir niemals gesagt, was ich einmal tun soll oder wie das weitergehen soll. Er hat ein ganz großes Vertrauen gezeigt, dass wir Wege finden werden.

Mit 51 Jahren, nachdem der vorige Prior Frère Roger tragisch gestorben war, hat er dann die Leitung übernommen. Und die anderen Brüder haben ihn sehr unterstützt, sagt er. Heute sind es insgesamt 90 Männer, katholisch, anglikanisch oder evangelisch. Manche von ihnen leben in kleinen Gemeinschaften in anderen Ländern.

Als ich Frère Alois frage, ob er als Baden-Württemberger, wenn er im Dezember mit seinem Amt als Prior aufhört, häufiger zu Besuch kommt, zu seinen Geschwistern zum Beispiel, sagt er mir:

Ich habe mich entschieden, und die Brüder waren damit einverstanden, dass ich nach Kuba gehe. Wir werden dort mit drei Brüdern zusammenleben. Also von Kuba kann ich dann nicht so oft nach Stuttgart kommen, wie ich es gerne tun würde.

Also ein ganz neuer Schritt für ihn mit 69 Jahren. Er war bisher nur einmal auf Kuba, weiß von politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten dort, aber auch von der Lebensfreude und dem Glauben der Menschen und der Musik. Und die Sprache Spanisch kann er sicherlich schon, oder?

Nein, ich muss das lernen, stellen Sie sich vor, ich muss Spanisch lernen, es ist wirklich ein Neuanfang für mich, in ganz vielen Bereichen.

Mindestens ein Jahr lang wird er dort sein, auch um dem neuen Prior in Taizé genügend Freiheit zu geben. Aber eins steht auf jeden Fall an, nämlich eine neue Struktur, um allen Brüdern mehr Mitsprache bei Entscheidungen zu geben, sagt er. Und es wird weiterhin darum gehen, Transparenz und Prävention in Sachen sexuellem Missbrauch zu schaffen, denn auch in Taizé gab es in der Vergangenheit sexualisierte Gewalt:

Es ist notwendig, wegen der Menschen, die Opfer waren und sind, denn diese Leiden vergehen ja nicht. Also um diesen betroffenen Menschen gerecht zu werden, wollen wir alles versuchen, dass Taizé in Zukunft ein sicherer Ort ist.

Die Zukunft beschäftigt ihn überhaupt. Er ist mir aus Rom zugeschaltet, wo er bei einer großen Versammlung dabei ist. Bei der Weltsynode, wo es um die Zukunft der katholischen Kirche geht. Er glaubt, dass Kirchen offen sein müssen für verschiedene Formen den Glauben auszudrücken. Und dass eine gute Gemeinschaft wichtig ist.

Dass wir kleine Gemeinschaften schaffen in unseren Kirchengemeinden. Und diese kleinen Gemeinschaften können zusammen überlegen: Was bedeutet für uns Christsein?

So etwas konnte ich zum Beispiel in einer kleinen Gruppe in einer Karlsruher Kirchengemeinde erleben. Frère Alois sagt mir, dass ihn das Teilen von Schönem und Schwierigem sehr erfüllt, in seiner Gemeinschaft unter den Brüdern, aber auch wenn Besucher in Taizé sich an ihn wenden:

Auch wenn wir da keine Antworten geben können. Aber ich mache da immer wieder die Erfahrung, dass dieses Sich-mitteilen-können schon einen neuen Horizont öffnen kann.

Es ist schön, von seiner Offenheit und seinen guten Erfahrungen mit den vielen Menschen zu hören, die wöchentlich nach Taizé kommen. Auch mich haben die guten Erlebnisse dort mit Gott, Musik und Menschen aus aller Welt geprägt und ich habe sie in meinen Alltag mit nach Hause genommen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38763
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