SWR4 Abendgedanken

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09NOV2023
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Es war immer der 9. November. Die Ereignisse an diesem Datum haben die Geschichte in Deutschland mehr als einmal beeinflusst: 1918 ist an diesem Tag die Weimarer Republik ausgerufen worden – und damit die erste deutsche Demokratie. Heute vor genau 100 Jahren hat Adolf Hitler versucht, gegen die junge Republik zu putschen. 1938 dann die Reichspogromnacht, und damit der Beginn der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten.

Ich möchte von einem 9. November erzählen, den ich selbst erlebt habe. Vom 9. November 1989. An diesen Tag habe ich eine ganz besondere, eine schöne Erinnerung! Damals war ich knapp 18 Jahre alt und wir haben den Abend in Stuttgart verbracht. Im damaligen Neckarstadion. Wir, das war der Sport-Leistungskurs, 12. Klasse. An diesem Abend haben wir ein legendäres Fußballspiel gesehen, denn der VFB hat die Bayern im DFB-Pokal mit 3:0 geschlagen. Das Spiel wurde damals live im Fernsehen übertragen und ich weiß noch, dass es einige Minuten später angepfiffen wurde als geplant. Weil die Tagesschau überzogen hatte. Der Grund: Die DDR hatte beschlossen, dass ihre Bürger ab sofort ohne Probleme oder besondere Visa einfach ausreisen dürfen. Wir hatten das im Stadion nicht gleich mitbekommen, denn damals gab es natürlich noch kein Handy. Es machte erst langsam die Runde, dass die Mauer tatsächlich gefallen war. Entweder stand das auf der Anzeigentafel oder, wie ich meine, der Stadionsprecher hat diese unglaubliche Nachricht über Lautsprecher verkündet. Was ich aber ganz sicher weiß: Einen Moment lang hat das ganze Stadion vibriert. Es war wie ein großes Rauschen; wie eine Freudenwelle, die 60.000 Menschen erfasst hat. Wir haben damals alle angefangen zu klatschen.

Ich denke es ist wichtig, dass wir uns an alle Ereignisse dieses besonderen Datums erinnern. An die schlimmen und schmerzlichen, damit wir nicht vergessen, was passiert ist, damit wir nicht aufhören zu lernen. Und damit wir aufmerksam bleiben und auf unsere Demokratie aufpassen.
Und unbedingt müssen wir uns auch an die guten Momente erinnern. Weil sie uns zeigen: es gibt Ereignisse, die Türen und Tore öffnen, die wir nie für möglich gehalten haben. So wie an jenem Abend des 9. November 1989, als die Demokratie gesiegt hat. Friedlich und über Nacht. An dieser Hoffnung will ich gerade jetzt in dieser Zeit festhalten. Und ich weiß gleichzeitig: dafür müssen wir etwas tun: Viel mehr zusammenstehen, als Gemeinde und als Gesellschaft; der Konkurrenz und der Aggressivität untereinander etwas entgegensetzen; und diejenigen, die anders glauben oder anders denken nicht als Feinde betrachten. Ich möchte 2024 wieder richtig feiern können: 35 Jahre Mauerfall, und die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland und in Stuttgart!

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