SWR2 Wort zum Tag
Martin Luther soll ja ein sehr ängstlicher Mann gewesen sein. In seinen jungen Jahren hat nichts darauf hingedeutet, dass er seiner Kirche einmal mutig den Kampf ansagen würde. Das geschah am 31. Oktober 1517: Thesenanschlag in Wittenberg! Ich will heute aber nicht an den hämmernden, sondern an den ängstlichen Luther erinnern, denn ich glaube, dass Luther überhaupt erst zum Reformator wurde, weil er sich mit dieser Lebensfrage auseinandergesetzt hat: Wie begegne ich meinen großen Ängsten?
Ganz wie zu Luthers Zeiten beherrschen auch heute wieder sehr konkrete, aber auch viele diffuse Ängste die Welt. Was hilft, sie zu überwinden? Erst einmal: genau hinschauen und unterscheiden. Luthers diffuse Ängste wurden geschürt von grauenhaften Bildern, die im ausgehenden Mittelalter gezielt eingesetzt wurden, um Menschen zum Spielball ihrer Ängste zu machen: Schreckensszenarien von Hölle, Tod und Teufel. Dazu kamen aber auch sehr konkrete Todesängste. Einmal hat Luther sich als Student mit seinem Degen an der Schlagader seines Oberschenkels verletzt und wäre fast verblutet. Und dann – die berühmte Geschichte – geriet er unterwegs in ein furchtbares Gewitter. Der Blitz hat ihn nur knapp verfehlt. Später im Kloster hat er unter regelrechten Panikattacken gelitten. Und in der Panik – das muss auch ein Luther erfahren - versagen alle Argumente. Mit vernünftigem Zureden allein ist der Angst nicht beizukommen.
In intensiver Auseinandersetzung mit den biblischen Texten entdeckt Luther aber nach und nach einen neuen Weg, mit seinen Ängsten umzugehen. In den biblischen Psalmen findet er Worte, seine Angst vor Gott auszudrücken: „Ich schütte meine Klage vor ihm aus und zeige vor ihm an meine Not.“ Er spürt: Der erste Schritt zur Überwindung der Angst ist, sie anzunehmen und auszusprechen. Das schafft Erleichterung. Und dann lernt Luther, die Trostworte der Bibel für sich in Anspruch zu nehmen, sie als Zusage bedingungsloser Gnade zu lesen und zu glauben. Und allmählich schwinden manche Ängste, und in den leer gewordenen Räumen macht sich die Zuversicht breit.
Worte der Bibel zu lesen und ihre tröstenden Wirkstoffe in sich aufzunehmen, ist eine gute Übung am Reformationstag. Probieren Sie es mal mit diesem Wort: „Gott ist mein Licht. Er befreit mich und hilft mir. Darum habe ich keine Angst.“
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