Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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03NOV2023
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Ich habe einen ganz besonderen Friedhof entdeckt. Einen Friedhof der Zukunft. Er befindet sich in Süßen bei Göppingen.

Dort werden keine Toten bestattet. Es ist eher ein Modellfriedhof, eine Art Experimentierfeld. Die Initiatoren stellen sich hier die Frage: Wie wird der Friedhof zu einem heilsamen Ort für die Menschen und ihre Trauer? Herausgekommen ist der „Campus Vivorum“. Das bedeutet übersetzt: ein Feld oder ein Ort für die Lebenden.

Ich finde, dieser Campus ist ein einladender Ort geworden. So gibt es dort zum Beispiel vielerlei Sitzmöglichkeiten, die zum Verweilen einladen, einen großen Tisch am Rand der Gräber, an dem sich Menschen treffen können, und schön gestaltete Oasen in denen die Natur mit allen Sinnen als tröstlich erfahren werden kann.

Auch wenn Friedhöfe zunächst die letzte Ruhestätte für die Toten sind, waren sie doch immer schon auch ein wichtiger Ort für die Hinterbliebenen oder, wie ich lieber sage, für die Hiergebliebenen. Sie müssen irgendwohin mit ihrer Trauer. Oftmals ist da der Friedhof eine wichtige Anlaufstelle, und das Grab ein Ort, der den Trauernden etwas bedeutet. Weil sie sich hier von einem geliebten Menschen endgültig verabschiedet haben, ihn bestattet.

Ich begleite seit vielen Jahren trauernde Menschen und erlebe dabei ein Dilemma: Viele möchten ihren Angehörigen keine Grabpflege zumuten und ihnen nach dem Tod nicht noch zur Last fallen. Deshalb entscheiden sie sich für ein sogenanntes pflegefreies Grab. Zum Beispiel in einer Urnenwand. Gleichzeitig beobachte ich, wie wichtig es den Angehörigen ist, ihre Trauer grad auf dem Friedhof ausdrücken zu können. Ganz oft möchten sie etwas mitbringen und ablegen. Und das tun sie dann auch: Kerzen, Blumen, Engele, ein gemaltes Bild. Doch das untersagt die Friedhofsordnung in der Regel bei Urnenwänden, Rasengräbern und anonymen Bestattungsfeldern. Und so werden diese Gaben zügig entsorgt, was wiederum die Angehörigen als verletzend empfinden. Was also tun? „Kreativ werden“, ist die Devise von Günter Czasny, er ist der Mitinitiator des „Campus Vivorum“. Seine Augen leuchten, als er mit uns über den Campus geht und uns viele Beispiele zeigt, wie pflegearme Gräber aussehen können: kleine Felder mit der Möglichkeit diese individuell zu gestalten oder zu bepflanzen und größere Flächen, die von den Trägern der Friedhöfe gepflegt werden. „Um der Menschen willen, die auf den Friedhof kommen“, sagt er. Denn der Friedhof soll ein heilsamer Ort für sie sein, eine Art Begleiter durch die Gezeiten der Trauer.

www.raum-fuer-trauer.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38673
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