Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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06NOV2023
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Es gibt Geschichten, die müssen weitererzählt werden, weil sie so schön sind. Meine Freundin hat so eine Geschichte in ihrem Abschiedsgottesdienst erzählt:

Als Gemeindepfarrerin hat sie auch Religionsunterricht gegeben. Und da ist dieser kleine Junge gewesen, in der zweiten Klasse, der war unausstehlich. Ständig hat er den Unterricht gestört; ständig hat er sie provoziert.

Einmal hat er sie so gereizt, dass sie kurz vorm Platzen war.

Da hat er gesagt:

„Gell, jetzt würdest du mir gerne eine reinhauen.“

„Stimmt!“, hat sie aus vollem Herzen geantwortet. Aber dann ist etwas Seltsames geschehen, sie konnte sich das selber nicht erklären:

Etwas hat sich gewandelt in ihr. Und sie hat den Jungen plötzlich mit ganz anderen Augen gesehen. Und hat gesagt:      

„Aber eigentlich möchtest du doch viel lieber, dass ich dich in die Arme nehme...“

Da ist der Junge ganz still geworden.

Er hat den Unterricht nicht mehr gestört. Das brauchte er nicht.

Denn endlich hatte ihn jemand mit seinen wahren Bedürfnissen gesehen.

Meine Freundin ist sich sicher: Gott hat ihr die Augen geöffnet für dieses Kind; und ihr die Worte in den Mund gelegt.

Die Geschichte geht aber noch weiter:

Im Jahr darauf hat das Schuljahr - wie üblich - mit einem ökumenischen Schulgottesdienst begonnen. Am Ende des Gottesdienstes sind die Klassen einzeln nach vorne gegangen und haben sich mit der Pfarrerin - also meiner Freundin - um den Altar gestellt. Dann haben sich alle an den Händen gehalten und meine Freundin hat den Segen gesprochen.

Als die Klasse des kleinen Jungen an der Reihe war, hat sie gesehen, wie er als erster losgerannt ist, um nur ja neben ihr zu stehen.

„Als ich seine kleine Hand in meiner Hand gespürt habe“, hat sie erzählt, „das war ein unbeschreibliches Gefühl. Das möchte ich um nichts in der Welt missen. Es war ein Geschenk des Himmels für mich.“

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