SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

12NOV2023
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Wale beeindrucken mich. Buckelwale, Schweinswale oder die unfassbar großen Pottwale. Die hätte ich gerne einmal aus der Nähe gesehen. Im Sommer war ich dann endlich mal im Deutschen Meeresmuseum Ozeaneum in Stralsund. In einer großen Halle hängen Wale in Lebensgröße und aus den Lautsprechern erzählt eine Stimme ihre Geschichte. Immer wieder dröhnt das Heulen der Wale an die Ohren der Zuhörenden.

Plötzlich lärmen die Lautsprecher. Schiffsschrauben, Sonare und Baggerarbeiten sind lauter als die Wale. So muss es sich für sie unter Wasser anhören, und weil die Tiere der Lärm stresst, ziehen sie sich zurück. Für die Fortpflanzung kann der Lärm katastrophale Konsequenzen haben: Wenn sich ein Walbulle und eine Walkuh nicht mehr rufen können, wird es nichts mit der Paarung.

In den evangelischen Kirchen wird heute über ein paar Sätze des Apostels Paulus nachgedacht. Der hat sinngemäß geschrieben: Tiere, Pflanzen und Menschen seufzen, weil sie sterblich sind und fühlen, dass ihr Leben bedroht ist. Da dachte ich: So gesehen, klingen die Rufe der Wale wie langgezogene Seufzer. Ich bin nicht Dr. Dolittle; aber ein Teil von mir, versteht, was sie sagen: Es ist zu laut hier im Meer.

Und ich bin nicht der einzige, der ab und an die Sprache der Tiere versteht. Ein Mann hat mir mal von seinem Kater erzählt. Der hat sich jeden Tag morgens in einer Acht um seine Beine geschmiegt. Immer hat er miaut. Eines Tages – der Kater war schon älter – hat er aufgehört zu miauen. Auch die Acht um die Beine ist immer mal ausgefallen. Der Kater hat geräuschlos geseufzt. Der Tierarzt hat dann festgestellt: Der Kater ist krank. Der Mann hat mir dann gesagt: Eines Tages hat er mir in die Augen geschaut und ich wusste: Mein Kater sagt tschüss.

Ich denke aber auch an einen Förster in der Nähe von Mainz. Er sitzt mit mir zusammen in einer ehrenamtlichen Umweltgruppe. Er hat gesagt: Der Wald hat Stress. Laub fällt zu früh ab, manchmal schon im Spätsommer. Und ich finde: Laub im Spätsommer; da ist doch jedes Blatt ein Seufzer, der direkt ins Auge fällt.

Der Apostel Paulus hat mit bemerkenswerter Scharfsicht hingesehen: Nicht nur der Mensch, auch Tiere und Pflanzen kommunizieren ihr Leiden ganz deutlich. In dieser Frage ist die Erde einig. Oder, um es religiös zu formulieren: Da ist die Schöpfung eins. Und Paulus sagt: Tiere, Pflanzen und Menschen leiden gemeinsam.

Mir tut der Gedanke, mit Tieren und Pflanzen verbunden zu sein, richtig gut. Noch besser muss ich sagen: mit den Tieren und Pflanzen gerade jetzt verbunden zu sein. Dieser Gedanke gibt mir Hoffnung. Dass Paulus sagt: Vor Gott sind wir alle „eins“ ist ein Ausdruck für Verbundenheit, und die fehlt gerade häufig.  Jedenfalls ist das mein Eindruck.

Wir Menschen neigen ja dazu, uns den anderen Lebewesen etwas nüchtern zuzuwenden. Wir zählen, messen, katalogisieren. Und das ist natürlich auch gut und wichtig, um zu verstehen, was uns umgibt. Aber dabei kann der Gedanke verloren gehen, dass alle Lebewesen auf der Erde – also auch die Menschen – gemeinsam Gottes Schöpfung sind.

Denn es verändert unser Sprechen und Denken. Ein Baum wirft mit den Augen der Menschen sein Laub ab, weil er sich auf Dürre einstellt. Mit den Augen Gottes wirft er jedes Blatt mit einem Seufzer ab, dass sein Leben so schwer ist. Ein Mensch sieht: Der Lärm der Maschinen verdrängt den Wal in ruhigere Gewässer. Gott sieht: Der Wal seufzt ein letztes Mal lang und bleibt allein.

Zu fühlen, dass Menschen, Tiere und Pflanzen vor Gott eine Schöpfung sind, hilft, die anderen Geschöpfe zu verstehen. Ja, mehr noch! Es trägt dazu bei, dass wir Pflanzen und Tiere als uns ähnlich erkennen. Weil wir gemeinsam vor einem Gott stehen. Das kann helfen, den Umgang mit der Natur zu ändern. Denn sie hat das gleiche Lebensrecht vor Gott wie der Mensch.

Ich glaube, Christinnen und Christen sind von Paulus dazu aufgerufen, dieses Gefühl zu genießen. Die Verbundenheit und die Natur zu genießen – in all unserer gemeinsamen Vergänglichkeit. Wir sind gemeinsam Gottes geliebte Geschöpfe. Und wir dürfen hoffen, dass auch all die Narben, die der Mensch ihr geschlagen hat, eines Tages von Gott geheilt werden.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und ruhige Tage in der kommenden stillen Zeit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38658
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