Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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03NOV2023
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Ich habe wieder einmal eines meiner Lieblingsbilder besucht: „Der Seerosenteich“ von Claude Monnet. Im Urlaub war ich in England, und beim Aufenthalt in London bin ich ganz bewusst in die National Gallery gegangen. Dort hängt das Original des „Seerosenteichs“. Für mich ein faszinierendes Gemälde von großer Finesse, unglaublich ausdrucksstark. Ich bin „ganz weg“, wenn ich davorstehe.

Und so habe ich 15 Minuten vor dem Gemälde gestanden und es auf mich wirken lassen. Was ich dabei erlebt habe, war diesmal anders als vor 15 Jahren, als ich zum letzten Mal dort war. Ich stand da in etwas Abstand vor dem Bild, damit die vielen Leute, die es auch sehen wollten, vor mir vorbeigehen konnten. Das taten sie dann auch. Bei den meisten: ein kurzer Blick auf das Gemälde, ein Handy-Foto – und weiter. Und beim nächsten Bild genauso.

Das habe ich eine Viertelstunde lang so erlebt. Ich habe mich gewundert. Und ich habe mich gefragt: Haben sie das Bild wirklich gesehen, wahrgenommen, innerlich erfasst? Sicherlich würden alle sagen: „Ich habe das Bild gesehen.“ Ja, sie haben es vor Augen gehabt, sie haben es sogar als Foto auf ihrem Handy. Aber hat dieses Gemälde, das eine enorme Tiefenwirkung hat und im eigenen Inneren viel auslösen kann, so in ihnen etwas bewirken können? Ich habe da meine Zweifel. Es ist doch ein Unterschied, ob ich ein Bild oberflächlich wahrnehme, „einen Blick darauf werfe“ – oder ob ich es auf mich wirken lasse.

Ich habe bei mir selbst gespürt: Je länger ich vor dem Gemälde stand, desto mehr habe ich darauf entdeckt und desto mehr war ich im Bann seiner Gesamtwirkung. Das braucht Zeit. Aber so kann ich es dann auch verinnerlichen, so kann es seine Aussagekraft in meiner Seele entfalten. Und im Anschauen habe ich gespürt: Ich werde innerlich immer ruhiger, und das Bild senkt sich in mich ein und geht dann mit mir.

Ich habe wieder einmal erlebt: Es lohnt sich, dass ich mir die Zeit nehme, um Schönes und Wohltuendes in meine Seele aufzunehmen. So wird das dann wie ein kleiner Schatz, der mich innerlich erfüllt und aufbaut.

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