SWR2 Wort zum Tag

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20OKT2023
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Auf dem Weg in den Sommerurlaub bin ich in meiner alten Heimat vorbeigekommen, in Bremen. Am Nachmittag bin ich dort auf den Deich gestiegen und da standen sie wie eh und je: ganz viele Schafe, wollig und weiß. Dazwischen die jungen Lämmer, die aufgeregt durcheinander laufen. Und dann diese Geräusche: ein zartes „mäh“ hier, ein energisches Mutter-„mä-hä“ dort. Und dazu weht ein warmer Wind, wie direkt vom Paradies her.

Plötzlich höre ich wieder ein „mäh“, aber dieses Mal ganz verzweifelt. Ich drehe mich um und sehe ein kleines schwarzes Lämmlein. Es scheint zu humpeln, und von der Herde ist es getrennt durch einen breiten Graben. Wahrscheinlich ist es die Wiese langgelaufen und ist dann einmal zu viel falsch abgebogen. Hinüber über den schmalen Steg, der über den Graben führt, der Steg ist halb eingebrochen, vielleicht hat es sich dabei verletzt. Und jetzt steht es da, auf der anderen Seite, ganz allein. Getrennt von mir und den anderen Schafen durch diesen Graben.

Das kenne ich auch gut, dass ich irgendwo allein stehe. Vielleicht habe ich einen Fehler begangen – ich habe gesprochen, ohne hinreichend nachzudenken, und dabei jemand anderes verletzt. Oder ich habe mich selbst isoliert durch eine blöde Bemerkung. Oder ich weiß, dass ich meinem Nachbarn hätte helfen sollen. Aber ich habe es nicht getan, und ich kann mir das nur schwer verzeihen. Solche Situationen trennen mich von Anderen. Ich fühle mich wie das schwarze Lämmlein auf dem Deich.

Da höre ich von ferne eine weitere Stimme, dieses Mal eine menschliche. „Ruhig, Kleines, ich komme ja schon“, höre ich. Von weitem kommt der Bauer hergelaufen in seinen hohen grünen Gummistiefeln. Beruhigend redet er auf das Lamm ein. Das Lamm humpelt ihm freudig entgegen. Der Bauer nimmt es vorsichtig unter den Arm. „Das ist ja nochmal gutgegangen“, sagt er zu mir, „ich freue mich ja immer so sehr, wenn ich einen von den kleinen Ausreißern wieder einfange.“ Spricht’s, winkt mir zu und setzt sich wieder in Bewegung. 

Ich fange auch an, mich zu freuen. Ein biblisches Bild legt sich über das, was ich gerade erlebt habe: Wenn ich heute etwas falsch mache oder irgendwo schräg abbiege, dann ist Gott der gute Hirte schon unterwegs zu mir. Und ich kann ihm entgegenhumpeln, und er wird mich hochheben und zurücktragen ins warme, volle Leben. 

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