Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
‚Weniger ist mehr‘ – als ich jung war, konnte ich mit diesem Sprichwort nichts anfangen. Im Gegenteil, es ging mir auf die Nerven. Es klang so gesetzt und abgeklärt, und es stand für ein Lebensgefühl, das jungen Leuten in meiner Generation ziemlich fremd war. Mit weniger zufrieden sein war damals nicht dran, alle Ampeln standen auf Wachstum, alles sollte immer noch mehr werden, größer, schneller. Man freute sich an dem, was man hatte und erreicht hatte, und für die Zukunft erwartete man einfach noch mehr von allem. Auch von den technischen Möglichkeiten. Denen hat man zugetraut, dass sie den Himmel auf Erden schaffen könnten, irgendwann. Auch wenn‘s in meiner Familie vergleichsweise bescheiden zuging, es gab so eine Grundstimmung, die hieß: Es geht aufwärts! Wachstum war das Zauberwort, reduzieren war nicht dran. Warum also sollte weniger mehr sein? Natürlich gab‘s auch damals schon andere, die auf die Folgen hingewiesen haben, aber sie wurden als Spinner oder Bedenkenträger abgetan.
In den Jahrzehnten seither hat sich viel verändert. Die Welt ist eine ganz andere geworden, mit neuen Problemen, neuen Fragen, neuen Lösungsansätzen. Und auch die Werte und Haltungen haben sich weiterentwickelt. ‚Weniger ist mehr’, das höre ich jetzt wieder und immer öfter. Es sind meist junge Leute, die dieses alte Sprichwort wiederentdecken und geradezu zu ihrem Lebensmotto machen. Weniger konsumieren, weniger verbrauchen, weniger Müll produzieren. Und dafür: kreativer werden, bewusster genießen, sorgsamer umgehen mit der Schöpfung. Nein, so sind sie nicht alle, die ‚jungen Leute von heute‘, natürlich gibt es auch andere, immer gibt es auch andere. Aber es ist so was wie ein Bewusstseinsstrom, der immer breiter wird. Notgedrungen, denn mittlerweile begreifen auch die Letzten, auch in meiner Generation, dass die Klimaprobleme mit uns und unserem Lebensstil zu tun haben, und nicht etwa blindes Schicksal sind.
Weniger ist mehr. Längst habe ich verstanden, dass es da nicht um spießige Beschränkungen oder Verbote geht. Es geht um so viel mehr: Es geht darum, die Schöpfung zu erhalten und darin gutes Leben zu ermöglichen, für uns und für kommende Generationen. Und für die Fülle der Lebewesen, mit denen wir diese wunderbare Erde teilen.
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