SWR4 Abendgedanken

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13OKT2023
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Das Vater Unser ist für mich das Schweizer Taschenmesser unter den Gebeten. Denn es ist etwas Besonderes, passt in ganz verschiedenen Situationen und praktisch finde ich es auch. So wie mein geliebtes Taschenmesser.

Besonders ist das Vater Unser, weil es direkt von Jesus stammen soll. Die Bibel erzählt im Matthäusevangelium, dass Jesus einmal gefragt wurde, wie man beten soll. Seine Antwort war das Vater Unser. Es ist das Gebet, das im Christentum wohl häufigsten gesprochen wird. In allen Teilen der Welt und jeden Tag aufs Neue. Und so verbinde ich mich beim Beten mit Menschen überall und über die Zeiten hinweg, sogar bis zu Jesus zurück. Das ist ein besonderes Gefühl.

Das Vater Unser ist außerdem vielseitig: Es hat seinen festen Platz im Gottesdienst in der Kirche. Aber auch auf dem Ferienlager rund ums Lagerfeuer wird die Stimmung nochmal deutlich feierlicher, wenn die Kinder und Jugendlichen aufstehen, sich die Hände reichen und das Vater Unser beten. Als Betreuer hab ich das oft erlebt: Man spürt, dass wir eine Gemeinschaft sind.

Auch wenn ich allein bete, weiß ich die Vielseitigkeit meines Lieblingsgebets zu schätzen. Sei es am Sterbebett meiner Oma oder wenn ich zu einer langen Reise aufbreche. Das Vater Unser passt für mich. Und je nachdem, was mich beschäftigt, haben die Bitten des Vater Unser unterschiedliche Bedeutung für mich. Das „Vergib uns unsere Schuld“ kommt mir anders über die Lippen, wenn ich mit jemandem zerstritten bin. Und das „Erlöse uns von dem Bösen“ bete ich angesichts der vielen Kriege auf der Welt heute viel inniger als noch vor ein paar Jahren.

Und praktisch finde ich das Vater Unser, weil ich es wie mein Taschenmesser immer dabei habe. Es begleitet mich auf meinem Lebensweg. Und ich weiß, dass es vielen so geht. Das Gebet ein ganzes Leben lang immer wieder zu sprechen, prägt sich tief ein. Wenn ich es mit Demenzkranken bete, hellen sich die Gesichtszüge auf und der Text ist oft kein Problem. Und wenn mir in einer bestimmten Situation die Worte fehlen, dann ist das Vater Unser so vertraut, dass es Halt geben kann.

Ich hoffe, dass ich das Vater Unser nie verlieren werde, genauso wie mein gutes, altes Taschenmesser. Denn das gilt für beide: Sie sind vielseitig, praktisch und etwas Besonderes.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38546
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