SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

08OKT2023
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Welcher Weg führt zum guten Leben? Und wie weit ist das? Da gibt es ja leider keine Schilder wie: „Bad Kreuznach 55 km“, „Neckargemünd 9 km“, „Maulbronn 3 km“. Die gibt es schon deshalb nicht, weil sich wohl jeder Mensch etwas anderes vorstellt unter „gutem Leben“.

„Hauptsach gudd gess!“ sagen sie im Saarland. Da merkt man die Nähe zu Frankreich! Obwohl: ein gut gedeckter Tisch, nette Leute drum herum – der Morgen wird lang oder der Abend sehr spät: dass das gutes Leben ist, darauf können sich bestimmt viele einigen! Überhaupt: Familie, Freunde, alle um einen Tisch. Zusammen sein mit Menschen, die mir am Herzen liegen. Man ist einen Herzschlag auseinander, keine paar Kilometer! Dafür braucht es keine Hinweisschilder!

Bloß: Wenn es so einfach wäre – warum ist es dann in Wirklichkeit oft so kompliziert? Warum ist der Weg oft so weit? Die Leute, die uns nicht liegen, die sind oft so weit entfernt, die Gräben so tief … Ach, was sag ich: Manchmal ist auch der Weg zu den Freunden furchtbar weit! Und manchmal schafft man den Weg selbst in der eigenen Familie, im eigenen Haus nicht …

Ein überflüssiger Streit, eine dumme Rechthaberei, die liegen dann dazwischen. Meistens über irgendeine völlig unwichtige Kleinigkeit. Die aber in dem Moment wichtiger scheint als alles andere. Wichtiger als die Liebe, als die Freundschaft, wichtiger als das jahrelange, vertraute Zusammenleben. Da endet der Weg dann – wie ein richtiger Weg vor einem Abgrund, einem hohen Berg oder einem breiten Fluss.

Dann stellt sich die Frage plötzlich doch wieder: Wie geht’s hier zum guten Leben? Wie weit ist das? Und wie überwinde ich die Hindernisse am besten? Mit den Ratgeberbüchern dazu kann man eine ganze Bibliothek vollstellen. Dabei sind die Ratgeber im Internet noch gar nicht mitgezählt!

Da überlege ich mir: Die meisten von uns haben doch irgendwann mal die Zehn Gebote gelernt. Könnte es damit nicht gehen? Nicht töten, nicht stehlen, kein falsches Zeugnis ablegen, nicht haben wollen, was anderen gehört – darauf könnten sich doch die meisten verständigen, oder nicht?

Na ja, sagt da jetzt vielleicht einer. Kommt wieder drauf an, was du unter „gutem Leben“ verstehst. So mit Moral und Geboten kommst du doch nicht weit in dieser Welt. Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Ohne Ellenbogen geht es einfach nicht.
Dir wird im Leben nichts geschenkt, bestätigt eine andere. Sorg erst einmal dafür, dass es dir gut geht. Dann kannst du dich um andere kümmern. Aber stimmt das? frage ich mich. Ist das nicht der beste Weg dafür, sich nur um sich selbst zu kümmern? So nach dem Motto: Wenn jeder an sich denkt, ist doch an alle gedacht?! Ist das der Weg zum guten Leben?

Die 10 Gebote in der Bibel sind als Regeln fürs Leben gemeint. Vielleicht denken Sie jetzt: Ach, da kommt die Kirche wieder mit der Moral um die Ecke. Die alte Spaßbremse. Die Spielverderberin.

Klar, ein Spiel soll Spaß machen. Und damit es allen Spaß machen kann, braucht es Spielregeln. Und die Spielregeln in der Bibel, die hat übrigens nicht die Kirche erfunden! Die stehen in der jüdischen Bibel – die hat die Kirche als Teil ihrer Bibel übernommen. Und die Juden, die feiern an diesem Wochenende ein fröhliches Fest: Simchat Tora, Freude an der Tora, Freude an Gottes Weisung mit all ihren Geboten und Geschichten.

Ein Freudenfest für die Spielregeln des guten Lebens! Eine Party für die Regeln, mit denen an alle gedacht wird!
Erst dann ist es doch ein richtiges Fest. Wenn alle mitfeiern können. Wenn niemand traurig bleiben muss, wenn niemand Angst haben muss. Erst das ist doch wirklich gutes Leben! Alle werden satt, alle haben Spaß. Vielleicht schaffen wir das nie so ganz. Doch wir versuchen es immer wieder. Gerade in den wirklich großen Festen. Den Volksfesten. So wie dem Münchner Oktoberfest, das vor ein paar Tagen zu Ende gegangen ist.

Leider geht gerade auf solchen Festen immer wieder einiges schief. Menschen schlagen über die Stränge und schaden anderen und sich selbst. Das wissen wir – und freuen uns trotzdem jedes Jahr wieder neu auf das große Fest. Unsere Feste sollen uns für alles entschädigen, was sonst nicht so gut läuft. Das klappt natürlich nicht. Aber wir versuchen es immer wieder.

Genau das ist der Punkt, wo wir Regeln brauchen. Gebote. Wegweiser. Das Fest ist erst ein richtiges Fest, wenn alle wirklich mitfeiern können. Wenn keine Angst und kein Kummer die Freude trübt. Das Spiel macht erst Spaß, wenn sich alle an die Regeln halten. Ich finde, das ist eine richtig gute Idee: ein eigenes Fest für die Regeln!

Welcher Weg führt zum guten Leben? Ich glaube sicher: kein Weg, den ein Mensch nur für sich geht. Das gute Leben – das ist nichts nur für einen oder für wenige. Die Bibel erzählt immer wieder davon, wie Gott Menschen aus Angst und Leid befreit. So fängt schon das erste Gebot an: „Ich bin dein Gott, der ich dich aus Ägypten befreit habe, aus der Sklaverei.“ Das ist der Weg. Das Fest ist erst ein Fest, wenn alle mitfeiern können. Wenn keiner zurückbleibt.

So wünsche ich Juden und Jüdinnen heute ein schönes Fest der Freude an der Tora! Und uns allen einen gesegneten Sonntag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38520
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