SWR3 Gedanken

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02OKT2023
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Ein Mann fällt mir auf. Er sitzt im hinteren Drittel der Kirche. Alle paar Wochen übernehme ich einen Gottesdienst in dieser Gemeinde. Inzwischen kenne ich die meisten, die sonntags kommen und mitfeiern.

Aber diesen Mann habe ich noch nie hier gesehen. Immer mal wieder schaue ich zu ihm hin. Wie alt mag er sein? Anfang 60? Hilflos blättert er im Gesangbuch. Offensichtlich sind ihm Ablauf, Lieder und Gebete fremd. Aber er hört aufmerksam zu. Und leuchtet irgendwie von innen her.

Am Ausgang reicht er mir lächelnd die Hand zum Abschied. Ich frage ihn, ob er hier in der Gegend zu Besuch ist. „Sozusagen“, sagt er. „Ich bin kein Kirchenmitglied. Ich glaube nicht an Gott.“

„Oh“, sage ich, „und da kommen Sie am Sonntagmorgen in den Gottesdienst?“ „Ja“, sein Lächeln wird noch breiter, „gestern bin ich Großvater geworden. Ich bin so dankbar für dieses Kind. Und ich wusste einfach nicht, wohin mit dieser Dankbarkeit. Da hab ich mir gedacht, ich gehe mal in die Kirche. Ist ja eine öffentliche Veranstaltung …“
Ich lächle zurück: „Klar, Kirche und Gottesdienste sind für alle da. Auch für so eine heimatlose Dankbarkeit wie die Ihre. Hat’s denn gepasst?“
„Für heute – ja!“, sagt er. „Und jetzt besuche ich mein Enkelkind.“
„Na dann“, sage ich, „Für heute: Herzlichen Glückwunsch!“

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