SWR2 Wort zum Tag

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03OKT2023
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„Was wird bloß aus unseren Träumen in diesem zerrissenen Land?“, so hat er damals gefragt und gesungen: Wolf Biermann, der Liedermacher, der in Deutschland West und Deutschland Ost gleichermaßen fremd wie zu Hause war.

Das war im Jahr 1976, in jenem unvergesslichen Konzert in Köln, das in der Folge zu seiner Ausbürgerung aus der DDR geführt hat.

Ich erinnere mich gut, wie ich zusammen mit einem Freund das Konzert am Schwarz-Weiß-Fernseher verfolgt habe. Wolf Biermann war für uns ein faszinierender musikalischer und politischer Grenzgänger. Unangepasst, frech, aber immer auch witzig. Die etablierten Autoritäten hat er mit kratziger Stimme und den Klängen seiner Gitarre aufs Korn genommen.

Geboren wurde Biermann 1936 in einem Land, das seiner jüdischen Familie nach dem Leben getrachtet hat. Und von dessen Sprache er doch gelebt hat wie einst sein großes Vorbild Heinrich Heine. Genau wie der war er hin und hergerissen zwischen West und Ost. „Ich möchte am liebsten weg sein, und bliebe am liebsten hier“, so heißt der Refrain in diesem Lied.

Während der letzten Jahre habe ich dann wenig von Wolf Biermann gehört. Und hätte nicht einmal sagen können, ob er überhaupt noch am Leben ist. Dann plötzlich habe ich seinen Namen in Karlsruhe auf einem Konzertplakat gesehen. Und da habe ich ihn tatsächlich nach Jahrzehnten wieder getroffen. Quicklebendig. Der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt.

Mittlerweile 87 Jahre alt, steht er da wenige Meter vor mir auf der Bühne, schlägt ein paar Akkorde an und legt dann los. Mit diesem Lied, das von der Zerrissenheit eines Vaterlandes erzählt, wo allein der Himmel nicht geteilt ist.  Und wo es noch immer um diese Frage geht: „Was wird bloß aus unsern Träumen in diesem zerrissenen Land? Die Wunden wollen nicht zugehn unter dem Drecksverband“.

In diesem Moment habe mich gefragt: Sind die Wunden zwischen Ost und West denn inzwischen zu gegangen? Und was wurde aus unseren Träumen? Aus dem rauschhaften Gefühl der ersten Nachwendezeit, sich endlich wieder frei bewegen und ungehindert reisen zu dürfen? 

Wolf Biermann ist über all die Jahre ein frecher Zweifler und gläubiger Ketzer, wie er von sich selbst sagt, geblieben. Nur hat er nach einem langen Leben genug von allen Weltverbesserungsideologien, von denen er heute sagt, dass sie doch nur ins Schlechtere führen.

In seiner Biographie schreibt er: „Heute habe ich begriffen, wie hochmütig mein Spott auf die bürgerliche Demokratie war. Sie ist das am wenigsten Unmenschliche, was wir Menschen als Gesellschaftsmodell bisher erfunden und ausprobiert haben.“

Natürlich durfte am Ende des Konzertabends auch sein Lied „Ermutigung“ nicht fehlen. Das wird inzwischen sogar auf Kirchentagen gesungen und findet sich in manchen Gesangbüchern. Es passt, finde ich, heute nicht weniger als damals:

„Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind brechen, die allzu spitz sind stechen und brechen ab sogleich... Du, lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit... du brauchst uns und wir brauchen grad deine Heiterkeit“

Ich meine, darum geht es doch heute, am „Tag der deutschen Einheit“, neben all den Rückblicken auf das, was vor 33 Jahren war, die Träume nicht zu vergessen, die wir geträumt haben von einem geeinten und demokratischen Deutschland.

Dankbar zu sein für unsere Demokratie. Und die vielen Möglichkeiten, die wir haben, sie zu verbessern. Sie ist tatsächlich „das am wenigsten Unmenschliche, was wir Menschen als Gesellschaftsmodell bisher erfunden haben und ausprobiert haben.“

Und auch darum geht es: Sich nicht entmutigen zu lassen von manchen Unzulänglichkeiten. Sondern zur Stelle zu sein, wenn es gilt, alte und neue Barrieren zu überwinden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38488
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