SWR1 Begegnungen

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24SEP2023
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Matthias Orth Foto: Privat.

… und mit Matthias Orth. Fünfzehn Jahre Knast, acht Jahre Bundeswehr und nun bei der Polizei. So könnte man den beruflichen Werdegang von Matthias Orth knapp beschreiben. Der 62-Jährige ist Pastoralreferent im Bistum Speyer und seit vielen Jahren als Seelsorger in Bereichen tätig, die man vielleicht nicht sofort mit Kirche in Verbindung bringt. Aber wieso gibt es das überhaupt? Seelsorge bei der Polizei. 

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland hat man diese Polizeiseelsorge aus der Taufe gehoben. Und eines der Hauptargumente war damals und ist auch heute noch: das Gewaltmonopol liegt bei dieser Personengruppe und ein verantwortungsvolles Umgehen damit bedeutet natürlich auch, dass es Werte geben muss. Wir brauchen an der Stelle die Unterstützung der beiden Kirchen, auch eine Seelsorge, Einzelseelsorge oder eine Nachsorge. Das war damals auch schon im Blick.

Ein Angebot, das für alle Polizistinnen und Polizisten da ist, ob sie nun gläubig sind oder nicht.

Nun ist Gewalt ja ein heikles Thema. Vor allem, wenn sie von Polizisten ausgeübt wird, weil die Recht und Gesetz mitunter eben auch durchsetzen müssen.

Ein wichtiges Stichwort: Verhältnismäßigkeit. Die Frage: wann gehe ich zu welchem Mittel über? Das ist ja ein fließender Prozess. Kann ich ruhig bleiben in der Situation oder fällt mir das eher schwer? Und dann muss ich vielleicht auch an mir arbeiten, an mir persönlich.

Und wenn es doch brenzlig wird? Bei Hochrisikospielen der Bundesliga etwa, oder bei Demos?

Also wir gehen ja auch zu Einsätzen. Einsätze, die von vornherein Gewaltpotenzial vermuten lassen, wo Polizisten in schwierige Situationen kommen können. Da werden wir gefragt. Ich habe immer den Eindruck gehabt: Da wird sehr wohl überlegt, welche Schritte gegangen werden. Also es wird wirklich probiert, schon im Vorfeld mögliche Situationen zu erfassen und runter zu kochen.

Und dennoch kann auch bei einem scheinbar alltäglichen Einsatz eine Situation urplötzlich eskalieren. Im Extremfall sogar die Schusswaffe zum Einsatz kommen. Anders als in manchen Krimis übrigens ein sehr belastendes Erlebnis, auch für die Beamtinnen und Beamten.

In Rheinland-Pfalz gibt‘s ein Kriseninterventionsteam der Polizei. Da arbeiten wir Seelsorger mit. Und wenn der Schusswaffengebrauch mal passiert ist, dann sind die Seelsorger zum Beispiel die einzigen, die Aussageverweigerungsrecht vor Gericht haben, und von daher ist dann ein Gespräch mit dem Schützen oder der Schützin unter vier Augen immer auch das angezeigte Mittel. 

Dass sich die Arbeit der Polizei verändert, das bekommt auch er mit. Polizeiliche Maßnahmen werden nicht nur immer öfter in Frage gestellt, die Leute reagieren inzwischen auch schneller aggressiv.

Die Erfahrung von vielen erfahrenen Polizisten geht schon in die Richtung, dass viele Konflikte schneller eskalieren. Und auch wenn jetzt größere Gruppen zusammen sind, man schneller auch noch mal nochmal Verstärkung hinzuzieht, weil man nicht genau weiß, wie manche Situationen sich entwickeln.

Doch auch wenn man noch so sehr auf Sicherheit achtet. Manchmal passiert einfach Unfassbares. So wie in jener Nacht im Januar 2022.

Wir haben in Kusel leider diese Situation gehabt, die dann zu dem schrecklichen Mord an den beiden geführt haben. Eine ganz normale Regelkontrolle, nichts Außergewöhnliches. Aber die Situation hat sich ja so entwickelt, wie niemand die erwartet hat und leider dann zum Tod von einem Polizisten und einer Polizistin geführt.

Eine Situation, in der natürlich auch die Polizeiseelsorge gefordert war. Matthias Orth unterrichtet auch an der Hochschule der Polizei auf dem Hahn im Hunsrück und einige der angehenden Polizist:innen dort haben die beiden jungen Beamten persönlich gekannt.

Viele haben ein neues Bild natürlich für sich auch selber entworfen, das so ein bisschen von dieser heilen Welt - Polizei und Polizeifamilie - natürlich abweicht. Also, es kann was passieren. Es kann mir was passieren und im schlimmsten Fall kann mir das das Leben kosten. Und da ist noch mal bewusst geworden, was das für ein Einsatz ist, auch für unsere Gesellschaft.

Haben die jungen Leute denn Zweifel bekommen an ihrer Berufswahl?

Das war auch Anspruch von uns Seelsorge, zu sagen: Nix beschönigen. Es bringt überhaupt nix, an der Stelle irgendwas schönzureden, sondern die Realität in den Blick zu nehmen und zu sagen: Leute, ihr habt euch diesen Beruf jetzt ausgewählt mit großem Idealismus, jetzt müsst ihr vielleicht noch ein zweites Mal euch entscheiden, dabei zu bleiben. Und bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen sind die dabeigeblieben.   

Am Ende möchte ich von ihm wissen, welche Rolle denn Gott für ihn in seiner Arbeit spielt.

Wenn ich in den Einsatz fahre, mache ich das häufig. Ich schnauf noch mal durch, gehe in den Einsatz und sage nach dem Einsatz: Ich habe das getan, was ich konnte. Den Rest musst du erledigen. Und ohne dieses Vertrauen - wenn ich das sehe, wie viel Leid und wie viel Konflikte und wie viel Probleme in diesem Feld da mir begegnen - da könnte ich ja nur verzweifeln. Ich bringe mich ein mit meinen Möglichkeiten, mit meinen Erfahrungen. Aber den Rest muss ER machen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38474
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