SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

28SEP2023
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Ich stehe am Busbahnhof und warte auf meine Tochter. Vor 24 Stunden ist sie in Rumänien in den Bus gestiegen, sie kommt zurück aus den Karpaten. Fast drei Woche war sie mit einer Gruppe Pfadfinder im Gebirge unterwegs. Ich bin froh, als der Bus um die Ecke biegt. Denn da gab es doch einige kritische Situationen zu überstehen in den letzten Wochen: Gewitter und Hagel, heftiger Regen, Zelte wurden weggeweht und zerrissen, die Gruppe ist Bären begegnet, und etliche haben sich mit einem Magen-Darm-Virus durch die Berge geschleppt.

Doch jetzt ist alles gut! Alle sind wohlbehalten zurück. Während die Gruppe zum Abschied am Bussteig noch singt und lacht, fährt gegenüber der nächste große Bus ein. Etliche Menschen warten schon. Mir fällt auf, dass die Leute große Taschen dabei haben. Und ich sehe viele Frauen mit Kindern. Als ich den Lauftext am Bus lese, erschrecke ich. Es werden all die Orte angezeigt, an denen der Bus in den nächsten Stunden und Tagen halten wird. Er fährt über Nürnberg und Bayreuth und weiter nach Dresden und Görlitz. Und die Namen, die ich dann lese, kenne ich nur aus den Nachrichten: Kiew, Odessa, Mykolaiv, Cherson. Dieser Bus fährt ins Kriegsgebiet. In die Ukraine.

Ich kann das in diesem Moment kaum glauben. Da spielen sich innerhalb von wenigen Minuten zwei Situationen am selben Ort ab, die so gegensätzlich sind: Aus dem einen Bus steigen fröhliche junge Leute. Die hatten eine aufregende, aber tolle Zeit miteinander. In den Bus gegenüber steigen Mütter mit teils kleinen Kindern und fahren in ein zerstörtes Land; an Orte, die lebensgefährlich sind. Und ich steh einfach daneben.

Ich fühle mich in diesem Moment so hilflos und denke: Was sind meine Sorgen gegen die Angst dieser Mütter! Ich kann mir deren Situation kaum vorstellen.

Dieser Krieg ist immer noch furchtbar. Und ich habe keine Ahnung, was zu tun ist, damit er endet. Das Mindeste, das wir tun können: Den Ukrainerinnen und Ukrainern, die hier bei uns sind, zeigen: Wir sehen euch, wir nehmen wahr, was passiert. Als der Bus abfährt, hebe ich den Arm und winke vorsichtig.

Gleichzeitig wünsche ich mir, dass ich eines Tages selbst in einem Bus sitze mit Ziel Odessa; um in dieser schönen Hafenstadt am Schwarzen Meer Urlaub zu machen. Und ich hoffe, dass die Frauen und Kinder, die in diesen Wochen in ihre Heimat fahren, den Traum nicht aufgeben: Einmal wieder mit dem Bus in den Frieden zu fahren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38433
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