SWR4 Abendgedanken

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27SEP2023
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Wir sind unterwegs am Bodensee und machen einen Stopp bei der berühmten Wallfahrtskirche Birnau. Als wir sie besichtigen, fällt mir ein Tablett auf, das im Vorraum steht. Darauf sind lauter kleinen Fläschchen mit goldfarbenem Schraubverschluss, der Inhalt ist durchsichtig. Beklebt sind sie mit einem Etikett, auf dem ist die Wallfahrtskirche abgebildet. Ich denke im ersten Moment: Ah, das ist bestimmt ein Obstbrand, ein Schnaps also. Das Kloster hat vielleicht eine eigene Brennerei. Denn die Wallfahrtskirche liegt ja mitten in einem großen Obstanbaugebiet. Ich nehme das Fläschchen in die Hand und schaue genauer hin: Dann muss ich schmunzeln. Nein, es ist kein Obstbrand, es ist Weihwasser!

Auf dem Etikett dieses Weihwasser-Fläschchens steht: „Durch die Kraft Gottes, die im Weihwasser wirkt, möge: Alles Böse von mir weichen und Gottes Segen, Frieden und Gesundheit über mich kommen.“

Ich überlege, ob ich das Weihwasser mitnehmen soll. Und entscheide mich dagegen. Denn ich würde es nicht verwenden. Ich mag das Ritual, mich mit Weihwasser zu bekreuzigen, wenn ich in eine Kirche komme. Das Zeichen erinnert mich an meine Taufe und daran, dass mein Leben zwar endlich ist, aber dass es nach dem Tod ein ewiges Leben gibt. Daran kann ich glauben. Aber dass eine Extra-Kraft in geweihtem Wasser steckt, die mich beschützt, damit kann ich wenig anfangen.

Zum Ende unseres Birnau-Besuchs gehe ich noch nach nebenan in den Klosterladen. Und da gibt es tatsächlich einen Birnauer Obstbrand! Abgefüllt in denselben kleinen Fläschchen mit goldfarbenem Schraubverschluss. Den Obstbrand nehme ich mit. Der erinnert mich an das Ritual in unserer Familie am Ende einer Bergtour oder auf dem Gipfel: Da gab es immer einen Schnaps. Als Zeichen für unsere Gemeinschaft am Berg, dass wir gut miteinander unterwegs waren und das Ziel erreicht haben.

Wir brauchen Zeichen und Rituale im Leben, an denen können wir uns festhalten, sie geben uns Orientierung. Und sie drücken aus, was wir mit Worten manchmal nur schwer formulieren können. Der Benediktinerpater Anselm Grün sagt: „Rituale sind mehr als Alltaggewohnheiten und mehr als bloßes eingespieltes Routineverhalten. Rituale öffnen den Himmel über unserem Leben.“[1]

Ich gehe doch nochmals zurück in die Kirche und stecke ein Fläschchen vom Weihwasser ein. Nicht für mich. Für eine Freundin, von der ich weiß, dass sie gerne Weihwasser im Haus hat. Für mich hat beides in gleicher Weise seinen Platz, wenn es um Rituale geht - Weihwasser und Obstbrand.

 

[1] Anselm Grün, „50 Rituale für das Leben“, Herder Verlag

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38432
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