Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

18SEP2023
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Letzte Woche habe ich meine neuen Klassen das erste Mal unterrichtet. Die erste Doppelstunde nütze ich immer dafür, dass die Schüler etwas von mir erfahren und um sie auch etwas näher kennenzulernen. Für mich ist das die entscheidende Voraussetzung, dass ich sie überhaupt unterrichten kann. Ich muss den einzelnen kennen und einigermaßen verstehen. Wie verschieden sie reagieren. Worauf der einzelne Wert legt. Wie sie aussehen und sprechen. Dass sie so verschieden sind, ist für mich kostbar, ja heilig. Ich hoffe, dass sie im Laufe der Zeit spüren und verstehen, dass wir nur dann gut miteinander durchs Leben kommen, wenn wir uns nicht als Konkurrenten verstehen, sondern respektieren und tolerant mit der Eigenart des anderen umgehen.

Für mich spielt im Religionsunterricht die Person, der einzelne Schüler eine mindestens genauso große Rolle wie der Lehrplan. Deshalb bemühe ich mich darum, dass wir uns in der Klasse vertrauen. Das kann ich nicht anordnen, aber ich achte darauf, dass so eine Atmosphäre herrscht. Dann ist es sogar möglich über private, ja intime Dinge zu sprechen: Was macht dir gerade Sorgen? Gibt es etwas, wo du Hilfe brauchst? Jede und jeder erzählt nur das, was er will. Keiner wird zu etwas gedrängt. Aber es kommen doch recht persönliche, private Dinge auf den Tisch. Ein Streit in der Familie oder ob hoffentlich die Noten gut genug sind.

Und ich merke auch in diesem Schuljahr wieder, dass ein ganzer Kosmos, eine ganz eigene kleine Welt in jedem der Jungen und Mädchen steckt. Sie sind so unterschiedlich wie wir Menschen eben sind. Wenn wir gut miteinander auskommen und zusammenleben wollen, dann müssen wir dafür etwas tun. Wir üben deshalb, einander gut und geduldig zuzuhören, die Meinung des anderen stehenzulassen und Kompromisse zu finden. Ich mache den jungen Leuten Mut, dass sie immer und immer wieder nachfragen; dass keiner die Wahrheit für sich gepachtet hat, sondern wir uns ihr nur annähern können. Dazu braucht es lebendige Diskussionen und die Bereitschaft, Neues zu hören und sich damit auseinanderzusetzen. Dafür ist die Schule ein besonders wichtiges Lernfeld. Was die Schüler hier erleben, das wird beeinflussen, wie sie sich später verhalten und mit anderen umgehen. So eine Form des Respekts und der Toleranz halte ich für einen Schlüssel in unserem Zusammenleben. Und der Religionsunterricht ist der richtige Ort, das zu üben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38407
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