SWR2 Wort zum Tag

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07SEP2023
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Hören kann sie ziemlich gut. Die Dirigentin Lydia Tár besitzt das absolute Gehör. Ohne Hilfsmittel erkennt sie jeden falschen Ton. Eine nützliche Gabe für eine Dirigentin. Anhand der fiktiven Figur Tar erzählt der gleichnamige Film die Geschichte einer Frau, die beruflich fast alles erreicht hat. Als erste Frau leitet sie ein großes deutsches Orchester. Sie ist ganz oben angekommen.

Privat hingegen läuft vieles schief. Ihre Beziehung kriselt. Menschen aus ihrem Umfeld behandelt sie oft kalt und abweisend. Sie will und kann die Probleme und Gefühle, die andere ihr gegenüber aussprechen, nicht verstehen. Lydia Tár kreist vor allem um sich selbst.

Der Film handelt von Macht und deren Missbrauch im klassischen Musikbetrieb. Es geht um eine Frau in einer männerdominierten Welt.

Besonders eindrücklich finde ich aber die klaffende Lücke zwischen dem, wie herausragend die Dirigentin in ihrem Beruf ist, auch dank ihres absoluten Gehörs. Und ihrer gleichzeitigen Unfähigkeit, anderen zuzuhören und auf sie einzugehen. Ja, hören kann die Dirigentin Tár fast alles. Aber zuhören fällt ihr schwer.

Wer Ohren hat, der höre – dieser Satz ist von Jesus überliefert.

Ich denke, was er damit sagen wollte: Wir sollen einander wirklich zuhören und aufeinander eingehen. Dafür muss ich das, was der andere sagt, auch wirklich verstehen und nachvollziehen wollen, versuchen, mich in ihn hineinzuversetzen. Ich muss mich selbst zurücknehmen und dem anderen Raum geben: Seiner Sicht, seiner Meinung, seinen Erfahrungen. Ein absolutes Gehör braucht es dafür nicht; eine aufgeschlossene Haltung dem anderen gegenüber schon. 

Das heißt ja nicht, dass ich dem anderen immer Recht geben muss oder dass es keine Rolle mehr spielt, was ich denke oder fühle. Aber als aufmerksamer Zuhörer kann ich dann selber auch darauf hoffen, dass mir der andere wirklich zuhört.

Und ich glaube, einfach mal zuhören und einander verstehen wollen, das ist die Basis für ein gutes Miteinander. So nehme ich andere Menschen ernst.  So beuge ich Missverständnissen vor. Und es tut mir auch selbst gut, wenn ich merke: da hört mir einer richtig zu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38369
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