SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

29AUG2023
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Ich habe einen Termin verpasst. Ich war mit einer Frau verabredet, um mit ihr über ihr Leben und ihren Glauben zu sprechen und ich hatte den falschen Tag eingetragen. Wir waren zum Glück im Pfarrhaus verabredet und so konnte die Sekretärin mir Bescheid geben und ich war 20 Minuten später am vereinbarten Ort. 

Als ich kam, hatte die Frau eine Tasse Tee vor sich, die die Sekretärin ihr gekocht hatte. „Gut, dass Du einen Tee bekommen hast“, sage ich zur Begrüßung. „Ja“, sagt sie, „und gut, dass ich 20 Minuten Wartezeit hatte. Weißt Du, ich stelle mir Gott immer so wie eine gute Freundin vor, die mir schweigend eine Tasse Tee kocht, wenn es mir nicht gut geht und sie vor mich hinstellt. Das tut mir gut und ich fühle mich umsorgt und verstanden. Heute hat mir eure Sekretärin die Tasse Tee fast aufgenötigt. Sie tut gut, aber ich habe festgestellt: ich brauche sie nicht! Mir geht es im Moment richtig gut und ich freue mich über alles Gute, was gerade passiert. Ich kann Gott von meiner Freude und meiner Dankbarkeit erzählen. Ich brauche keinen Trost-Tee. Aber das wäre mir nie so klar geworden, wenn Du nicht zu spät gekommen wärst.“

Mich freut diese Aussage und ich denke: „Ja, Gott, auch das hast Du gut gefügt – manchmal reicht eine simple Verspätung, um zu erkennen, wie es mir geht und wie es mir mit Dir geht“. Eine Tasse Tee und 20 Minuten Verspätung – und dieser Frau ist mehr über ihre Beziehung zu Gott deutlich geworden als in einem langen Gebet.

Ein paar Tage später bei einem anderen Gespräch, sagt die Frau zur Begrüßung: „Gerade habe ich doch die verkehrte Ausfahrt genommen, da musste ich einen richtigen Umweg fahren. Aber so fing das heute morgen schon an: ich wollte nach links, dort blockierte der Müllwagen den Weg, also bin ich rechtsherum gefahren. Unterwegs gab es noch eine Umleitung, aber nun bin ich hier. So ist das Leben, mein Leben. Und in allen Umwegen: Gott ist bei mir!“

Zwei sehr persönliche Zeugnisse von Gott, die mir da geschenkt wurden. Sie erinnern mich an das Motto der Jesuiten: Gott suchen und finden in allen Dingen. Es geht nicht nur darum, Gott in religiösen Übungen, wie dem Gebet oder der Meditation zu finden. Es geht auch nicht nur darum, Gott in besonderen Highlights oder tiefsten Krisen zu finden. Sondern es geht darum, mit offenem Herzen, mit freiem Sinn den Alltag anzuschauen und wahrzunehmen. Dann finden sich Gottes Spuren überall in der Welt – in der Freude an gemeinsamen Mahlzeiten, in einem Wort, das mir zugesagt wird, in einer zufälligen Begegnung, denn auch Zufall ist einer der Namen Gottes. Gott suchen und finden in allen Dingen.

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