Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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11SEP2023
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Eine Situation, die im deutschen Schienennetz fast täglich passiert. Ein Zug ist auf unbestimmte Zeit verspätet, kann nicht weiterfahren. Ein paar Mal kommt diese Ansage, die Stimmung unter den Fahrgästen im überfüllten Zug sinkt ins Bodenlose. Druck bei denen, die dringend weitermüssen, Unverständnis und Wut.

Eine solche Situation hat mir neulich ein Freund erzählt: Da geht nichts mehr, und irgendwann bekommt auch der Lokführer Hunger. Doch als er ins Bordrestaurant kommt, formiert sich der Unmut und richtet sich gegen seine Person. So sehr er auch entschuldigend zu erklären versucht, man lässt ihn kaum ausreden, und es kommt zu Pöbeleien. Es fehlt nicht viel, und einige würden sogar handgreiflich werden. Gegen diesen Lokführer. Der Zug steht, die Luft steht, die Lauten werden lauter.

Etwas passiert dann ganz unbemerkt: Eine schmächtige Person kauft ein Eis an der Theke, bahnt sich den Weg durch die Leute und hält es dem Lokführer hin mit den Worten: „Sie sind bestimmt auch fertig mit den Nerven. Hier, eine kleine Erfrischung.“ Es wird still. Ein paar glucksen verlegen und murmeln etwas, na ja gut.

Auf jeden Fall kehrt plötzlich Frieden ein, obwohl der Zug noch steht und nichts gelöst ist. Doch: etwas ist schon gelöst. Die Spirale der Wut dreht sich nicht weiter. Der Hass auf einen Sündenbock wird unterbrochen. Einer muss herhalten: das haben Menschen leider viel zu oft so gehandhabt.

Aber diese Geschichte macht einen ganz wunderbaren Ausweg klar: es braucht manchmal nur den Mut einer einzigen Person, um diesen Automatismus anzuhalten, um aus Irrsinn und möglicher Gewalt Frieden und Anstand zu machen. 

Es ist noch lange nicht gesagt, dass das immer funktioniert. Doch ich lerne daraus: Lieber einmal zu viel einen kleinen Schritt machen. Lieber einmal nicht mit den Anderen zusammen schimpfen, sondern für Verständnis werben.

Lieber einmal tief durchatmen und sich fragen: kann ich meinen Ärger in etwas Gutes umwandeln? Manchmal braucht es nur einen einzigen Menschen, der diesen mutigen Schritt wagt. Und der so Frieden schafft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38282
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