SWR2 Wort zum Tag

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14SEP2023
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Es war eine besondere Siegerehrung beim Abschlussfest der Klasse 4a. Ausgezeichnet wurden nur erste Plätze – zweite oder dritte Plätze wurden nicht vergeben. Trotzdem hat jede Schülerin und jeder Schüler am Ende eine Urkunde bekommen: alle den ersten Platz für eine besondere Leistung im vergangenen Schuljahr. Der Klassenlehrer hatte sich für jeden etwas überlegt: Einer bekam den ersten Platz dafür, dass er trotz Höhenangst im Sportunterricht auf eine hohe Plattform geklettert ist. Eine andere für die besten Schönheitstipps an den Klassenlehrer. Ein dritter wurde ausgezeichnet, weil er immer bereit ist, anderen zu helfen.

Als Vater habe ich die Idee des Lehrers super gefunden. Es war schön mitzubekommen, dass er die Einzelnen im Blick gehabt hat und jedem Kind durch den ersten Platz gesagt hat: Dich zeichnet etwas aus, was du ganz besonders gut kannst. Aber die Botschaft dahinter war für mich noch einmal eine andere: es ist schön, dass es dich gibt. Du bist wichtig und wertvoll. Ohne dich hätte in unserer Klasse etwas gefehlt.

Ich finde es schön, so etwas im Kontext von Schule zu erleben. Dort, wo wenige Tage später Zeugnisse verteilt wurden. Im Zeugnis steht dann schwarz auf weiß, wie gut die Leistung eines Kindes in einem Fach ist – und es weiß dann, wer darin besser oder schlechter ist.

Solche Leistungsmessungen gehören zu unserer Gesellschaft dazu. Das kann ich gut oder schlecht finden. Ganz entziehen kann ich mich ihnen nicht. Aber ich kann für mich immer wieder entscheiden, auch eine andere Haltung einzunehmen – mir und anderen gegenüber. Ich kann überlegen, wofür ich mir gerade einen ersten Platz geben würde: dafür, dass ich meinen Kindern heute aufmerksam und geduldig zugehört habe oder dass ich endlich den Keller ausgemistet habe.

Und ich kann andere Menschen für etwas auszeichnen, was sie fantastisch gemacht haben. Meine Frau dafür, dass sie die besten Geburtstagsgeschenke für unsere Kinder besorgt hat. Unsere Kinder dafür, dass sie bei strömenden Regen ausdauernd auf dem Trampolin gehüpft sind. Meinen Kollegen dafür, dass er im Dienstgespräch immer einbringt, was an Aufgaben gerade ansteht.

Das muss nicht mit einer Urkunde für einen ersten Platz versehen sein. Es reicht, wenn ich aufmerksam wahrnehme, was andere Wertvolles leisten, und es sie auf eine gute Weise spüren oder wissen lasse.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38278
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