SWR2 Wort zum Tag

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29AUG2023
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In dem kleinen Holzhaus, in dem wir unsere Fahrräder unterstellen, haben wir mal wieder Untermieter. Wespen. Genauer: Polistes dominula, die Haus-Feldwespe. Zu erkennen an den langen, herunterhängenden Beinen. Und ihrem flachen, breiten Papiernest. Jeden Tag kann ich beobachten, wie es wächst. Und immer mehr Wespen schlüpfen.

Ich erinnere mich daran, wie selbstverständlich ich als Kind Wespen verjagt und getötet habe. Zum Beispiel, wenn wir draußen gefrühstückt haben. Heute ist das für mich undenkbar. Ich bin froh über die Haus-Feldwespen bei den Fahrrädern. Froh über dieses Zeichen der Natur.

Jeden Tag übe ich mich deshalb in der Kunst des friedlichen Miteinanders mit den gelb-schwarz-gestreiften Tieren. Wenn ich das Fahrradhaus aufschließe, dann öffne ich die Tür etwas vorsichtiger als sonst. Gehe nicht direkt rein. Denn meist schwirren mir ein paar Wespen entgegen. Oder sitzen an der Tür. Ich warte, bis sich die Aufregung legt und hole dann mein Fahrrad. Ich merke: Die Tiere behalten mich im Auge. Sitzen da und warten, was ich tue. Komme ich dem Nest zu nahe, dann höre ich schon am lauten Summen, dass ihnen das nicht gefällt. Ich gehe dann schnell wieder auf Abstand. Dafür haben die Wespen sonst kein Interesse an mir. So lassen wir uns gegenseitig Raum zum Leben.

An den Wespen kann ich beispielhaft verstehen, wie Schöpfung funktioniert. In Jahrmillionen hat sich eine Balance des Lebens herausgebildet, die immer wieder neu ausgerichtet wird. Menschen bauen Häuser, Wespen Nester. Und alles hängt zusammen. Alles Lebendige ist darauf angewiesen, dass es Lebensräume bekommt.

Deshalb finde ich auch die biblischen Schöpfungserzählungen so einleuchtend. Ich weiß: Es sind Sinngeschichten, keine naturwissenschaftlichen Erklärungen. Und doch enthalten sie eine wichtige Botschaft. Gott, so wird erzählt, schafft alles und schafft es so, dass es miteinander leben kann. In Balance ist. Mich fordert das auf, mit an dieser Balance zu arbeiten. Und wenn es nur das Zusammenleben mit unseren Wespen betrifft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38210
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