SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

04AUG2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ein bisschen chaotisch war das schon, mal wieder – wie Bahnfahren eben gelegentlich sein kann. Wir kamen von einem Fest in Bremen und mussten abends noch nach Hause. Verspätung: bisschen über eine Stunde. Normal also. Allerdings: Die Bahn muss die Moselstrecke von Koblenz nach Trier reparieren oder teilweise erneuern – deswegen: Schienen-Ersatzverkehr bis Wittlich.

Beim Umsteigen vorher hatten wir den blinden Herrn W. in den total überfüllten Zug begleitet – und waren fasziniert, wie der seine Weiterfahrt nach Luxemburg managte: ununterbrochen am Telefon mit der Bahn und mit irgendwelchen Leitstellen; jedenfalls hatte er es geschafft, dass der Ersatzbus in Koblenz auf ihn wartet. Schön für uns, dachten wir – dann kriegen wir den ja auch. Wir hatten es auch in den Ersatzbus geschafft – er verhandelt draußen noch darüber, wie er dann weiterkommt.

Und dann leider, leider: Bus voll; kein Platz mehr für ihn. Zweitbus ungewiss. Kann bitte jemand aussteigen – der blinde Mann hier muss heute noch weiter. Gut, dass Herr W. die Reaktion wenigstens nicht sehen musste: Alles guckt nach unten oder in die Luft… – Da haben wir kurz überlegt und sind dann eben wieder raus. Schön, sein dankbares Gesicht zu sehen. Und wer ungläubig fragte: ihr wollt wirklich hier zurückbleiben? denen konnte ich locker antworten: Tja – manchmal kann ich auch Nächstenliebe!

Der Zweitbus kam dann doch – ein Reisebus statt des Stadtbusses und überholte den auf der Strecke; in Wittlich konnten wir dann den Anschlusszug aufhalten – mit einem kleinen Joke: „Der blinde Passagier kommt erst noch mit dem anderen Bus…“

Endlich mal, dachte ich mir, endlich mal kein Fluch der guten Tat. Wir hatten mehr Komfort und kein bisschen schlechtes Gewissen dabei. „Hat sich also sogar gelohnt“ zu sagen, wäre natürlich dummes Zeug – da hatten einfach glückliche Umstände was gefügt – und wir durften davon profitieren.

Schon richtig: eigentlich hätte die Bahn das hinkriegen müssen – was hatten wir uns da einzumischen! Ich denke lieber andersherum – gelegentlich. Jedenfalls, wenn die Chance so offensichtlich auf der Hand liegt, mal für jemand was Gutes zu tun: da versuche ich zuzugreifen. Am Schluss könnten beide was davon haben. Win-win-Situation heißt das – und auf die Dauer sollten viel mehr Menschen mit einer solchen Aussicht die eine oder andere Sache selbst in die Hand nehmen. Nach unten gucken, auf‘s Handy oder in die Luft: ist einfach zu wenig…

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38147
weiterlesen...