Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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31JUL2023
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Mein Freund Dirk wird 50. Lange im Voraus hat er seine Sommerparty geplant. Meine Frau und ich haben gerne zugesagt. Doch in der Woche vorher merken wir: Es ist zuviel - in dieser Woche, aber auch schon über einen längeren Zeitraum. Zwei Tage vor der Party will ich Dirk anrufen. Ich erreiche ihn nicht, sende zunächst eine Sprachnachricht. Mir geht es nicht gut dabei, ihm so kurzfristig abzusagen.

Innerlich fange ich an, darüber nachzudenken, wie Dirk wohl über unsere Absage denkt. Bestimmt ist er sauer, weil wir unsere Zusage nicht einhalten. Sicher denkt er, dass er uns einfach nicht wichtig genug ist.

Es ist wie so oft. Ich male den Teufel an die Wand. In meinem Kopf entstehen lauter Bilder wie Dirk jetzt über uns denken und was er anderen erzählen könnte. Wir haben ihn enttäuscht und das wird so schnell auch nicht zu reparieren sein.

Vom Schlimmsten ausgehen, das kann ich gut. Wenn das Telefon klingelt, ich den Absender sehe und schon Probleme auf mich zukommen sehe. Wenn mir ein nicht näher definierter Termin in den Kalender eingestellt wird und es da ganz bestimmt nur um schlechte Nachrichten gehen kann. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich gut darin, Sorgen zu wälzen, Probleme aufzublasen und Grenzen zu sehen.

Was bei mir nur Gedanken im Kopf sind, war für das Volk Israel bittere Realität geworden. Sie hatten sich durch eigene Entscheidungen in die Sackgasse manövriert. Da ging nicht mehr viel und die Frage war: Wird sich daran jemals nochmal etwas ändern? Im Grunde ist jeder Kredit verspielt. Doch gänzlich unerwartet sagt Gott zu ihnen: „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ Die Israeliten hatten es wirklich verbockt. Doch Gott legt sie nicht darauf fest, sondern schenkt Israel völlig überraschend eine vollkommen positive, zuversichtliche Perspektive.

Diese Perspektive sehe ich in vielen Situationen nicht. Ich gehe viel zu oft einfach vom Schlimmsten aus. Ich frage mich: Wie soll das nur wieder gut werden?

Am nächsten Tag klingelt mein Telefon. Dirk ist dran. Ich überlege, ob ich abnehmen soll. Kurz darauf rufe ich Dirk zurück, mit einem Kloß im Hals. Ich habe kaum „Hallo!“ gesagt, da sagt Dirk: „Ich kann euch so gut verstehen!“ Ich bin perplex und erleichtert zugleich. Keine Vorwürfe, kein Hinterfragen, keine Überzeugungsversuche. Einfach nur Verständnis. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Nach dem Telefonat denke ich darüber nach, dass es Sinn machen könnte, beim nächsten Mal nicht gleich den Teufel an die Wand zu malen. Es könnte ganz anders kommen, vielleicht ja sogar viel besser als ich es zu hoffen wage. Hoffentlich denke ich dann beim nächsten Mal auch tatsächlich noch daran.

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