SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

23JUL2023
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Es ist ein besonderer Moment: Wenn im Sommer in aller Frühe der Morgen anbricht. Ein Moment, den ich selten erlebe – aber wenn, dann staune ich: Wie das erste Licht sich zeigt. Und wie dann, nach und nach, die ersten Vogelstimmen zu hören sind. Erst vereinzelt und zaghaft, dann immer kräftiger – bis sich ein vielstimmiger Chor gebildet hat.

Es tagt, der Sonne Morgenstrahl weckt alle Kreatur. Das Volkslied erweckt den Zauber dieses Moments musikalisch zum Leben. Der Vögel froher Frühchoral begrüßt des Lichtes Spur, heißt es in der ersten Strophe. Es singt und jubelt überall. Erwacht sind Wald und Flur. Und die Melodie jubelt förmlich mit:

Strophe 1, Knabenchor capella vocalis

Für den Musiklehrer Werner Gneist, der den Text 1929 gedichtet und auch die beschwingte Melodie dazu komponiert hat, war die Morgenstunde, die er besingt, nicht nur ein schönes Naturereignis. Für ihn hat das morgendliche Erwachen auch eine geistliche Dimension.

Gneist war von der Singbewegung der zwanziger Jahre geprägt. Der christliche Glaube war ihm wichtig. Als er sich in den dreißiger Jahren als Volksschullehrer im schlesischen Bunzlau geweigert hat, in die NSDAP einzutreten, wurde er strafversetzt und hat danach als Kantor an einer evangelischen Schule gearbeitet. Nach dem Krieg hat er seine Arbeit als Lehrer im schwäbischen Kirchheim/Teck fortgesetzt.

Der vielstimmige Chor, der am Morgen erwacht, bedeutet für Gneist: Alle Geschöpfe sind Teil eines großen Morgenkonzerts zum Lob Gottes – alle auf ihre eigene Art, nicht nur diejenigen, die mit einer Singstimme begabt sind. Wem nicht geschenkt ein Stimmelein zu singen froh und frei, mischt doch darum sein Lob darein mit Gaben mancherlei, so heißt es in der zweiten Strophe. Und stimmt auf seine Art mit ein, wie schön der Morgen sei.

Strophe 2, Knabenchor capella vocalis

Mir gefällt diese Vorstellung: dass jeder und jede unterschiedliche Gaben hat, aber alle auf ihre Weise etwas beitragen können im großen Chor. Und ich überlege mir, was meine Stimme, mein Beitrag darin sein könnte.

Einstimmen in das Morgenlob kann ich mit einem Lied – aber auch mit einem schön gedeckten Frühstückstisch. Mit einer beschwingten Joggingrunde durch den Wald. Mit einem Lächeln oder einem Wort, das anderen guttut. Oder einfach damit, dass ich genau hinhöre und mich freue am Lob der Schöpfung, das draußen zu hören ist.

Strophe 3, Knabenchor capella vocalis

Ja, ich selbst singe tatsächlich gerne mit. Und will auch genau hinhören und mich anstecken lassen von der positiven Energie, die in diesem morgendlichen Konzert steckt. Obwohl – oder gerade weil – manches in meinem Leben und vieles in der Welt keinen Grund zur Freude bietet.

Aber wenn ich mit einstimme, dann trage auch ich dazu bei, die Welt trotz allem ein wenig schöner zu machen – so wie es die Sonne tut, und die Vögel. Die Insekten, die durch die Luft tanzen, die glitzernden Wellen oder die Bäume, die sich im Wind wiegen. Alles zusammen ein großer Morgenchor an Freude reich zu Gottes Lob und Preis.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38063
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