SWR4 Abendgedanken

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10JUL2023
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Manche Erlebnisse wirken ein Leben lang nach. Und geben einem das Gefühl, im Leben auch gut aufgehoben zu sein. Von so einem Erlebnis hat mir ein Mann erzählt, der mir bei seiner Goldenen Konfirmation begegnet ist. Vor fünfzig Jahren wurde er in meiner Kirchengemeinde konfirmiert. Und alle aus seiner alten „Konfi-Gruppe“ hatten wir zu einem Gedenkgottesdienst eingeladen. Mit diesen Jubilaren hatte ich Gelegenheit, über die Dinge zu sprechen, die in ihrer Jugend üblich gewesen sind. Über ihren Prüfungsgottesdienst zum Beispiel – das hat es damals noch gegeben. Vor der versammelten Gemeinde wurden am Sonntag vor der eigentlichen Konfirmation Fragen zum Glauben gestellt. Auch wenn alles vorher gut geübt war, waren die Jugendlichen doch sehr aufgeregt und haben gefürchtet, steckenzubleiben, sich zu verhaspeln und sich vor der ganzen Gemeinde ganz fürchterlich zu blamieren. Diese Aufregung ist ihnen auch fünfzig Jahre später noch gut in Erinnerung.

Einem Jugendlichen war kurz vor dem Tag beim Fußballspiel seine Brille kaputtgegangen. Er war sehr kurzsichtig – da hat auch seine Ersatzbrille nicht viel geholfen.

Ausgerechnet ihn hat der Pfarrer nun gefragt, was man denn auf dem Kirchenfenster sieht, vorne über dem Altar. Hundertmal hatte der Junge das Fenster schon vor Augen gehabt. Hunderte Male hat er die Figuren angeschaut, die eine Geschichte aus der Bibel darstellen. Aber jetzt in der Aufregung war alle Erinnerung wie weggeblasen, und seine Augen konnten nichts erkennen. Er hat gespürt, wie ihm die Hitze ins Gesicht gestiegen ist. Gleich würden alle anfangen zu flüstern und zu lachen. Aber dann hat er ganz leise neben sich gehört: „Jesus - am Kreuz, und seine Mutter und ein Jünger stehen davor.“

So oder so ähnlich muss es sein Freund dem aufgeregten Konfirmanden damals vorgesagt haben. So genau erinnert sich der Goldene Konfirmand fünfzig Jahre später nicht mehr an die Worte. Woran er sich aber erinnert: Dass ihm sein Freund vorgesagt hat und ihm so aus der peinlichen Situation geholfen hat.

„Sehen Sie, Frau Pfarrerin,“ hat er zu mir gesagt, „ich habe noch oft im Leben erlebt, dass Menschen mir beigestanden haben, so wie damals mein Freund in der Prüfung vor der Konfirmation. Und dann habe ich immer gewusst, dass ich in einer Gemeinschaft von Freunden geborgen bin. Das hat mir geholfen, auch schwere Zeiten zu überstehen.“

Allein dieses Erlebnis war für diesen Jubilar Grund genug, die Erinnerung an seine Konfirmation nach fünfzig Jahren mit großer Freude zu feiern, und seine Geschichte hat auch mich berührt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38002
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