SWR2 Wort zum Tag

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11JUL2023
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Herbert Blomstedt ist ein weltbekannter, hoch angesehener Dirigent. Eine lebende Legende. Heute feiert er Geburtstag – er wird 96 Jahre alt und ist damit der dienstälteste Dirigent weltweit. Gerade tourt er auf einer umjubelten Tournee durch Deutschland. „Dirigent zu sein ist ein guter Beruf, um alt zu werden,“ meint Blomstedt und ist selbst der beste Beweis dafür.

Was ihn auszeichnet: Er kann gut zuhören, und er tut es gerne. „Wenn man einander gut zuhört, braucht man nur sehr wenig zu besprechen,“ meint er. Wo andere laut werden oder die große Geste pflegen, nimmt Blomstedt sich zurück. Wer, so wie ich, das Glück hat, ihm bei einem Konzert zu begegnen, erlebt einen großen, charmanten, sehr einfühlsam und mit sparsamen Gesten agierenden Herrn, dem man sein Alter wahrlich nicht anmerkt.

Zuhören können – das ist nicht nur eine Kunst, es ist auch eine Kultur, eine Haltung. „Nicht alles, was man hört, mag einem gefallen,“ stellt Blomstedt fest. Dennoch öffnet er seine Ohren. Denn: „Ein Dirigent ist nur ein Zuhörer.“ Gerade weil er zuhören kann, kann er die Musiker auch leiten und führen und den Klang prägen.

Blomstedt bedauert, dass seit den 1960er Jahren der Musikunterricht zugunsten technischer Fächer in den Schulen vernachlässigt wird. Wie gut, dass es einen neuen Trend zum Singen in Chören gibt. Kaum vorstellbar, dass ein Chor funktioniert, wenn alle sich gegenseitig nur anschreien. Es geht nur, wenn eine auf den anderen hört. Zuhören kann man lernen.

So wie Blomstedt das Geheimnis seiner Kunst schildert, könnte auch eine Definition von Seelsorge klingen. Zuhören können. Tatsächlich findet der Dirigent, dass Musik auch eine spirituelle Dimension hat, er selbst ist Christ.

„Ohne Kunst und Religion verkommt der Mensch zu einem intelligenten Tier,“ sagt er sehr pointiert. Mag sein, dass da nicht jeder inhaltlich mitgehen mag. Aber warum sollte jemand, der das Zuhören so kultiviert hat, nicht auch deutlich seine Meinung sagen.

Heute an seinem Ehrentag sei ihm eine Schar von Gästen gegönnt, die Lust haben, Herbert Blomstedt zuzuhören, wenn er von den vielfältigen Begegnungen in seinem langen Leben erzählt und von der Faszination der Musik. Ich selbst habe mich von ihm inspirieren lassen. Es ist so wichtig, die Ohren zu öffnen. Für Musik. Für andere Menschen. Ich finde mit Blomstedt: Auch für Gott.

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