Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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06JUL2023
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„Jeder Mensch hat einen Namen“ – so heißt ein Heft, das die Hilfsorganisation „United for Rescue” herausgegeben hat. Die Helfer retten Flüchtlinge vor dem Ertrinken. In dem Heft werden 20 Menschen mit Namen vorgestellt. 20 der 20.000, die seit 2014 auf ihrer Flucht im Mittelmeer ertrunken sind. Menschen wie Zahair, der mit seiner Mutter und seinen drei Geschwistern aus Afghanistan geflohen war. Sein Boot sank am 16. März 2018 vor der griechischen Küste. Er wurde acht Jahre alt.

Jeder Mensch hat einen Namen: Wenn ich jemanden mit Namen kenne, macht das einen Unterschied. Er ist dann nicht mehr Teil einer anonymen Masse, sondern ein unverwechselbarer Mensch. Und es ist nicht mehr so einfach, sein persönliches Schicksal zu ignorieren oder ihm Gewalt anzutun.

Nicht umsonst bekamen im Nationalsozialismus die Menschen, die in Lagern gequält und getötet wurden, statt ihres Namens eine Nummer eintätowiert. Eine Zahl zu sein statt einen Namen zu tragen, das nimmt einem Menschen die Würde. Und ein Mann, der im Krieg war, hat mir vor langer Zeit erzählt, dass es schrecklich war, wenn sie durch irgendeinen Zufall die Namen derer aufgeschnappt haben, gegen die sie kämpfen mussten. Es ist so viel schwerer, auf jemanden zu schießen, den man mit Namen kennt.

Ich habe dich bei deinem Namen gerufen – in einem Vers aus der Bibel im Buch Jesaja sagt das auch Gott. Er sagt es zu seinem Volk, den Israeliten. Denn die kommen sich in dem Moment verloren vor und vergessen. Als wären sie nur Teil einer anonymen Masse, und niemand kümmert sich, was mit ihnen geschieht. Aber Gott kennt sie beim Namen. Für ihn ist jeder Mensch einzigartig. Auch jeder und jede von uns heute. Er kennt meinen Namen und verleiht mir damit eine besondere Würde. Fürchte dich nicht, sagt Gott, ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.

Mir tut der Gedanke gut. Und es tut mir auch im Alltag gut, wenn jemand meinen Namen kennt. Wenn ich irgendwo noch ziemlich neu bin und jemand sich dann erinnert: „Karoline, oder?“, dann fühle ich mich gleich willkommen.

Jeder Mensch hat einen Namen. Und Gott kennt jeden einzelnen Menschen mit Namen. Deshalb finde ich es so wichtig, dass auch wir auch in der großen Masse immer wieder den einzelnen Menschen und sein Schicksal sehen – wie genau diesen einen kleinen Jungen, der Zahair hieß und der auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken ist.

Und es ist auch gut, wenn wir einander beim Namen nennen. Und diejenigen, die uns neu begegnen, nach ihrem Namen fragen. Gerade auch die Leute, die uns erstmal fremd sind. Ja, es ist gut, sie mit Namen ansprechen und ihnen so zeigen: Ich sehe dich mit deiner ganz eigenen Würde. Du und ich – wir sind beide einzigartige Menschen. Und ich will ich dich mit Respekt behandeln.

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