SWR4 Sonntagsgedanken

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02JUL2023
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Die erste öffentliche Rede Jesu ist im Matthäusevangelium die sogenannte Bergpredigt (Matth. 5-7). Sie fordert heraus – damals wie heute. Denken wir nur daran, wie oft gesagt wird: ‚Wie du mir, so ich dir!‘ Die Goldene Regel der Bergpredigt sagt dagegen: ‚Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!‘

Passt das in unsere Welt? Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt soll einmal gesagt haben: ‚Mit der Bergpredigt kann man nicht regieren.‘

Klar, wenn ich sie als Gesetz verstehe, dann stoße ich schnell an meine Grenzen.

Wenn ich aber sage: Die Bergpredigt lädt mich ein, es mal anders zu versuchen, nicht: wie du mir, so ich dir – sondern: alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen – dann geschieht vielleicht etwas, mit dem wir gar nicht rechnen.

Dazu zwei Beispiele. Jesus sagt: „Wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.“ Ein Jude war damals verpflichtet, den schweren Rucksack eines römischen Soldaten, der ihm begegnete, eine Meile weit zu tragen; dann durfte er ihn wieder abgeben.

Wenn Jesus sagt, geh zwei mit ihm, dann rät er: ‚Tu mehr als das Geforderte‘, denn das könnte die Situation verändern. Vielleicht kommt der römische Soldat während der zweiten Meile ins Gespräch mit dem Juden und merkt, dass dieser eigentlich ein netter Kerl ist und er ihn unmöglich wie einen Sklaven behandeln kann, nur weil er der Besatzer ist; vielleicht denkt er weiter darüber nach und ändert sein Verhalten.

Oder das andere Beispiel: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ Ist er kein Linkshänder, muss er mit dem Handrücken schlagen, um die rechte Wange zu treffen. In den Augen der Juden galt das als besonders verächtliche Geste, sagt sie doch: ‚Du bist Dreck!‘ Jetzt rät Jesus: Halt ihm die andere Wange hin, vergilt nicht Gleiches mit Gleichem, denk an deine Würde; vielleicht kommt der Andere dann zum Nachdenken.

Mich erinnert das an ein Erlebnis, das der Wiener Großstadtseelsorger Klemens Maria Hofbauer hatte. Er sammelte in den Caféhäusern Wiens mit seinem Hut für Obdachlose, denen er eine Unterkunft bauen wollte. Eines Tages geriet er an einen Mann, der offensichtlich eine Wut auf Pfarrer und Kirche hatte. Er fuhr Klemens Maria an und schimpfte: „Wie kommen Sie dazu, mich um Geld zu bitten?“ und spuckt ihm ins Gesicht. Der Pfarrer nimmt sein Taschentuch, wischt sich das Gesicht ab und sagt: „Das war für mich, jetzt geben Sie mir noch was für meine Armen“ und hält ihm erneut den Hut hin. Der Andere war so verdutzt, dass er ihm den ganzen Geldbeutel in den Hut geworfen hat.

Am meisten fordert uns Jesu Wort von der Feindesliebe heraus. Er sagt: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“

Wer kann das? Jesus konnte es, auch Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Können wir das auch? Ich finde wichtig, dass ich das Wort ‚Liebe‘ nicht falsch verstehe. Es heißt nicht: Ich muss dem um den Hals fallen, der gegen mich ist. Vermutlich will er das gar nicht. Aber ich kann den göttlichen Funken auch in ihm sehen, nicht bloß sein Misstrauen mir gegenüber. So kann ich lernen zu verstehen, warum er so ist und nicht anders.

Deshalb lädt die Bergpredigt ein, den andern Menschen durch Großzügigkeit zu überraschen, statt Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

In der Ouvertüre zur Bergpredigt stehen die sogenannten Seligpreisungen. Jesus möchte, dass Menschen ‚glückselig‘ werden. Das gelingt denen, die sich auf die Bergpredigt einlassen und mit dieser Haltung durchs Leben gehen. Jesus provoziert damit jene Frommen seiner Zeit, die gern damit angeben, was sie alles im Sinn Gottes tun. Mit vollen Händen präsentieren sie sich vor Gott. Dagegen sagt Jesus: „Glückselig, die geistlich arm sind!“ Er meint damit jene, die sich bewusst sind, dass sie ihr Leben nicht in der Hand haben, die fragende Herzen haben und offene Hände. Diese offenen Hände sind bereit zu empfangen und den andern Menschen so zu nehmen, wie er ist.

Wenn wir so offen sind, können wir mitfühlen, zum Beispiel mit dem, der trauert. Wir werden ihn nicht vertrösten mit frommen Sprüchen, wir hören zu und lassen ihn nicht allein.

Das können wir dann, wenn wir selber mit uns eins sind. Jesus spricht von denen, die ein reines Herz haben. Sie geben sich so wie sie sind, echt, authentisch. Sie spielen nicht was vor, was sie gar nicht sind.

Schließlich nennt er auch die glückselig, die friedfertig sind: fertig, also bereit, Frieden zu stiften, zu versöhnen, gegensätzliche Parteien anzuhören und dann miteinander einen Weg zu suchen. Das ist eine Ansage gegen alle, die mit Waffengewalt ein Problem lösen wollen, ob in der Ukraine, im Jemen, im Sudan oder wo auch immer gerade Krieg ist in der Welt.

Für mich gibt es keinen anderen als den gewaltfreien Weg Jesu, auch wenn er wegen seiner Menschlichkeit ans Kreuz kam. Seine bedingungslose Liebe ist meine Kraftquelle, und die wünsche ich uns allen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37957
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