SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

30JUN2023
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In Tübingen gibt es einen Kinder- und Jugendzirkus, den Zambaioni. Das ganze Jahr über trainieren und proben dort die jungen Zirkuskünstlerinnen und Zirkuskünstler: Jonglieren und Einrad fahren, am Trapez turnen, Clown sein und Menschenpyramiden bauen… Und die ganze harte Arbeit und der ganze verrückte Spaß münden dann in eine riesengroße Aufführung. Im echten Zirkuszelt. Mit toller Beleuchtung und großem Orchester. Mit viel Kreativität, Popcorn und frenetischem Applaus. Ich finde es jedes Jahr auf’s Neue ein Wunder, was die Jugendlichen da auf die Beine stellen.

In diesem Jahr habe ich dort in dem Zirkus etwas ganz Besonderes erlebt:
An meiner Schule gibt es eine Schülerin. Ich habe sie gar nicht selbst im Unterricht, kenne sie also kaum. Aber sie ist mir schon oft aufgefallen: Sie ist still, ruhig, sitzt meist irgendwo, tief in ein Buch vergraben. Blicken weicht sie eher aus. Ganz unscheinbar und manchmal verschüchtert wirkt sie in der Schule.

Diese Schülerin ist beim Zambaioni. Und ich habe sie während der Aufführung kaum wiedererkannt: Sie hat getanzt, gelacht, ihr Können gezeigt. Mal stand sie selbst mitten im Rampenlicht: Beim Jonglieren mit Feuerkeulen, als kunterbuntes Einhorn, als seilspringende Hexe. Mal hat sie ausgeholfen, wo jemand gefehlt hat. Schnell eine Matte rausgetragen, kurz mal eben irgendwo mitgemacht, damit die Show für alle funktioniert. Man hat fast den Eindruck gehabt, sie ist durch die Manege geschwebt. Sie war in ihrem Element. Sie war ganz sie selbst: Selbstsicher, aufrecht, stark. Sie hat gestrahlt.

Ich glaube, dass Gott sich genau dies für uns Menschen wünscht, dass er sie fördern und ihnen Orte geben will, an denen sie genauso werden können: selbstsicher, aufrecht und stark. Menschen, die aufblühen und leuchten. Und so die Welt ein bisschen heller machen. Darum heilt Jesus die Kranken. Darum sagt er zu denen, die Unrecht getan haben, dass ihnen vergeben ist. Darum tröstet er. Und darum tritt er dafür ein, dass Gerechtigkeit herrscht und den Armen geholfen werden soll. Gott wünscht sich Menschen, die aufblühen und leuchten dürfen. Im Zirkus. Und in der Welt. Und die andere dann anstrahlen können.

„Wandelt als Kinder des Lichts.“, heißt es im Epheserbrief (Eph 5,8). Im Zirkus habe ich verstanden, was das bedeuten kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37919
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