SWR1 Begegnungen

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18JUN2023
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Sr. Faustina Niestroj Foto: Manuela Pfann

… und mit Schwester Faustina Niestroj. Ich treffe mich mit der Ordensfrau und Kirchenmusikerin in der Bischofsstadt Rottenburg am Neckar. Sie erzählt mir vom Projekt „Friedensglocken für Europa“. Es geht um Glocken, die seit über 70 Jahren in katholischen Kirchen in Württemberg läuten – aber dort gehören sie eigentlich nicht hin. Die Geschichte dieser Glocken führt zurück in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Nationalsozialisten hatten damals zehntausende Glocken von Kirchtürmen geraubt; um sie einzuschmelzen und Waffen daraus zu machen. Nur einige wenige Glocken sind nach Kriegsende erhalten geblieben. Die hat man an ihre Heimatgemeinden zurückgegeben. Bis auf die Glocken, die im heutigen Polen oder in Tschechien mitgenommen wurden.

Diese Glocken konnten nicht zurückgegeben werden aufgrund des Eisernen Vorhangs und wurden leihweise hier den Gemeinden in Deutschland angeboten und auf die Kirchtürme aufgehängt.

Und dort läuten sie bis heute. Unter anderem in katholischen Kirchen, die hier nach dem Krieg neu gebaut wurden.

Und das war eigentlich eine schöne Geste, dass man gerade da, wo viele Vertriebene zu verzeichnen waren, hat man sich bemüht, ihnen so eine Glocke zur Verfügung zu stellen. … So war es auch zum Beispiel in Esslingen-Oberesslingen.

Die Glocken aus Esslingen werden jetzt in ihre Heimat zurückgebracht, nach Polen. Sr. Faustina hat diese Reise vorbereitet. Für das Projekt ist die polnisch-stämmige Ordensfrau eine glückliche Fügung, sie spricht beide Sprachen und hat zwei Länder als Heimat im Herzen. Sie freut sich auf die Reise …

… und natürlich freue ich mich für das Projekt, dass endlich nach vielen, vielen Jahren der Vorbereitungen und Planungen die Glocken wirklich zurückgehen.

Geboren wurde die Idee für das Projekt nämlich schon vor mehr als zehn Jahren. Damals kam der Zufall zur Hilfe. Als der Kirchturm des Doms der Diözese Rottenburg-Stuttgart renoviert wurde, hat man eine Glocke entdeckt, die nicht in das Geläut hineingepasst hat.

Das war damals eine Glocke aus Gorzów Śląski, Landsberg, in der Diözese Oppeln. Und Bischof Fürst hat 2011, die Initiative ergriffen und wollte diese Glocke an ihren Ursprungsort zurückgeben. Das ist auch geglückt und es war so eine überwältigende Erfahrung, dass er anschließend gesagt hat, falls es weitere solche Glocken gibt, möchte er alle zurückgeben.

Und genau das soll in den kommenden Jahren geschehen. Das Glockenteam der Diözese hat mittlerweile alle Kirchtürme besichtigt und überprüft und insgesamt mehr als 60 Glocken gefunden.

Die meisten Gemeinden haben gar nicht geahnt, dass bei ihnen im Turm eine ganz andere Glocke hängt. Und genauso in Polen. Die Menschen wussten nichts mehr vom Verbleib dieser Glocke. Gibt es sie noch? Existiert sie noch irgendwo?

Umso größer ist jetzt die Freude in Straszewo. In der kleinen Gemeinde in der Nähe von Danzig wird die 300-Kilo-Glocke aus Esslingen kommendes Wochenende ihre neue und alte Heimat finden. Die Feuerwehr der Gemeinde ist bei der offiziellen Übergabe in der Kathedrale vor Ort.

Sie haben einen Wagen dabei und werden nach der Übergabe die Glocke gleich verladen und in ihren Ort fahren und sind richtig stolz darauf, dass die Glocke zurückkommt.

Noch heute läuten Kirchenglocken aus Polen und Tschechien in katholischen Kirchen in Württemberg. In den kommenden Jahren sollen sie an ihre Heimatgemeinden zurückgegeben werden. Sr. Faustina Niestroj stammt aus Polen und arbeitet für das Projekt „Friedensglocken für Europa“. Für sie geht es es dabei um viel mehr als die Übergabe von Glocken.

Wichtig ist, dass wir uns aufeinander zubewegen, dass wir in Dialog treten, dass wir wirklich Beziehungen knüpfen zwischen den Völkern, dass wir uns besser kennenlernen. Wir sehen, wie wichtig das ist.

Nicht nur heute. Es geht auch, immer noch, um die Vergangenheit und das Thema Versöhnung. Für mich ist das schwer vorstellbar, seit Kriegsende sind ja schon beinahe 80 Jahre vergangen. Da erzählt mir Sr. Faustina von einem alten Mann aus Tschechien, der schon lange in Deutschland lebt. Er hat als Kind, miterlebt, wie die Nationalsozialisten Glocken in seiner Heimat abgenommen haben. Sie sagt, der Mann war total gerührt…

… von dieser Initiative, von diesem Projekt, dass es so etwas gibt, dass er das noch erleben darf, dass diese Geschichte, diese ungerechte Geschichte und sehr schmerzliche Geschichte, wie er sie in seinem Leben erfahren hat, doch eine Wende genommen hat und eine Heilung hier erfährt.

Gleichzeitig nimmt Sr. Faustina wahr, dass junge Leute in ihrer Heimat mit dem Thema „Versöhnung“ ganz anders umgehen. Die sagen ihr:

Wir brauchen keine Versöhnung in dem Sinne, weil wir keine Feinde sind. das sind offene Menschen, die eigentlich für die internationalen Beziehungen ohnehin sehr, sehr offen sind.

Sr. Faustina Niestroj lebt seit über 30 Jahren in Deutschland. Durch ihr Engagement im Projekt „Friedensglocken“ erlebt sie selbst auf neue Weise, was Heimat ausmacht:

Ich merke, dass sich vieles verändert, dass die Zeit weitergeht. Die Menschen wandeln sich auch … Aber dennoch gibt es etwas, was bleibt. Etwas, was einfach dazugehört, wo man spürt: Aha, das ist einfach die Heimat, das ist etwas, was es nur dort gibt.

Auch der Klang einer Kirchenglocke kann Heimat schenken. Trotz der schmerzlichen Geschichte, die mit diesen Glocken verbunden ist - ich finde es eine schöne Vorstellung, dass es jetzt zwei Gemeinden gibt, die eine gemeinsame Heimat haben. Damit endet die Geschichte der Glocken aber nicht. Denn für jede Glocke, die in ihre Herkunftskirche zurückkehrt, wird eine neue gegossen, eine Friedensglocke. Eine Taube ist darauf abgebildet, sie erinnert an Noah und das Ende der Flut und daran, dass Gott mit den Menschen Frieden schließt. Und ein Kranz mit zwölf Sternen steht für die Muttergottes und gleichzeitig für die Europäische Union.

Ich glaube, es gibt leider nicht den Zeitpunkt, wo wir sagen können wir haben den Frieden, es genügt. Wir brauchen nichts mehr tun.

Sr. Faustina hat in Polen selbst erlebt, wie lange es dauert, bis Versöhnung möglich ist, bis man sich wieder vertrauen kann. Der Ukraine-Krieg hat dem Projekt Friedensglocken jetzt auf traurige Weise Aktualität verliehen, sagt sie zum Ende. Und deshalb es ist ihr sehr wichtig festzuhalten,

dass ein Frieden zwischen den Völkern wirklich auch mit Engagement, nicht selten mit einer gewissen Mühe verbunden ist und dass wir nie nachlassen dürfen in den Bemühungen um Abbau jeglicher Vorurteile, um neue Offenheit füreinander und Abbau von nationalistischem Denken und ja, wirklich Verständnis für die Völker innerhalb von Europa.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37859
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