SWR2 Wort zum Tag

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13JUN2023
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Bei Trauungen in der Kirche fällt mir in letzter Zeit auf: Wenn zwei Menschen einander Treue versprechen, fließen immer häufiger die Tränen. Und das bei aller Coolness und Eheskepsis, die sonst so Konjunktur haben. Mich berührt das sehr. Und mir sagt das: Eine Partnerschaft ist offenbar eine große Geschichte – kann mehr sein als ein „Projekt“, mehr als eine Gemeinschaft zum gegenseitigen Nutzen.

Ich muss dann oft an das denken, was der Religionsphilosoph Martin Buber ein Ich-Du Verhältnis nennt. Zwei Menschen wenden sich einander zu und entdecken im Anderen eine Person, an der sie in der Begegnung wechselseitig wachsen können.

Vor hundert Jahren hat Martin Buber in seiner Schrift „Ich und Du“ die Grundlage für sein Denken gelegt. Er nannte es „Das dialogische Prinzip“. Da findet sich die markante Formulierung: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“

Es geht nicht darum, sich zu verwirklichen oder sich zu behaupten. Martin Buber dachte dabei auch weit über den Horizont einer Partnerschaft hinaus. Eine dialogische Lebenshaltung ist für ihn fundamental für unser ganzes Verhältnis zur Welt. Es macht nämlich etwas aus, ob ich meine Gegenüber – seien es Menschen anderer Herkunft, anderer Völker oder anderer Religionen –, als Objekte ansehe, oder ob ich zu ihnen dialogisch in Beziehung trete. Das gilt genauso für andere Lebewesen, für Tiere und Pflanzen, für die ganze mich umgebende Kreatur.

Als Martin Buber diese Sätze formuliert hat, hatte er die große Katastrophe des I. Weltkriegs vor Augen. Mir scheint, seine philosophischen Entdeckungen können heute sehr wertvoll sein. Dialog wird zur Zeit in vielen Formen und Formaten beerdigt: Wo ethnische Trennungen propagiert werden, wo Religion ohne Dialog mit Anderen verkommt zu einem „Wir sind´s - die einzig wahren vor Gott “. Da wird der Unfriede früher oder später zum Programm.

Wenn ich die Welt nur als eine Ansammlung von Objekten ansehe, die ich mir zu eigen machen kann, verliere ich, vielleicht ohne es zu merken, den Boden unter den Füßen, die Schöpfung, die mich trägt.

Für Martin Buber heißt das auch: Mit den Mitkreaturen verliere ich Gott als lebendiges DU - wenn ich auch IHN wie ein Objekt ohne wirklichen Dialog in meine eigenen Vorstellungen einsperre.

Dialogische Begegnung einüben, darum ging es ihm. „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Eine Partnerschaft kann dafür ein lebenslanges Praxisfeld sein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37826
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