SWR2 Zum Feiertag

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08JUN2023
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Bevor ich als evangelische Pfarrerin etwas zum katholischsten aller christlichen Feiertage sage, nämlich zum heutigen Fronleichnamsfest, möchte ich gerne die ehemalige Hamburger Bischöfin und erste Frau in einem Bischofsamt, Maria Jepsen, zitieren. Sie hat aus meiner Sicht sehr schön und treffend formuliert, wie wir Protestanten auf andere Konfessionen blicken. Sie schreibt:   

„Unter den Kindern Gottes sind die Protestanten die Ernsten. Gott hat so viele Kinderscharen. Die Protestanten aber sind die stillen unter ihnen, selten ausgelassen und kaum prächtig gekleidet. Die Belesenen sind sie, die fast nie ohne ihr Buch unterwegs sind; sie sind die, die, wenn die andern lachen oder singen oder springen, sich unter einen Baum setzen und nicht mithüpfen, sondern ihr Buch aufschlagen und darin lesen. Das ist ihr Glück: sich zu freuen an dem, was da geschrieben steht seit alten Zeiten. So fühlen sie sich Gott am nächsten. Unter den Konfessionen sind die Protestanten die Bücherwürmer, die Leseratten. Manchmal aber sehen sie auf die anderen Kinderscharen Gottes, die Sänger, die Tänzer, die Artisten. Dann bewegt sich ihr Herz, als wäre eine kleine unruhige Sehnsucht darin, die herauswill. Und sie wissen nicht recht: was soll das bedeuten? Doch schon neigen sie sich wieder über das Buch und beruhigen aus ihm mit schönen, alten Sätzen die Unruhe. Und tanzen und baden und spielen nicht mit.“

Mir gefällt diese augenzwinkernde Beschreibung, und ich finde mich darin wieder, wie ich mit meiner Bibel unterm Arm kopfschüttelnd auf jedes kirchliche Geschehen blicke, das nicht in diesem Buch seinen Ursprung und seine Quelle hat. Aber auch diese kleine unruhige Sehnsucht nach dem prallen Leben außerhalb von Buchdeckeln ist mir sehr vertraut, und deshalb möchte ich ausgehend von drei persönlichen Erfahrungen sagen, was ich an diesem Fronleichnamsfest schätze:

Zwei katholische Cousinen in meiner ansonsten rein evangelischen Großfamilie waren für mich die Türöffnerinnen in eine ganz andere kirchliche Welt als die, die ich von klein auf kennengelernt habe. Es muss wohl bei der Feier von deren Erstkommunion gewesen sein, als ich zum ersten Mal diesen Gesang gehört habe, der auch heute an vielen Orten gesungen wird: „Tantum ergo sacramentum, veneremur cernui.“  Auf Deutsch: „Sakrament der Liebe Gottes, Leib des Herrn sei hoch verehrt.“  Mit meinen Anfängerlateinkenntnisssen konnte ich längst nicht alles richtig übersetzen, geschweige denn verstehen. Aber gespürt habe ich es ganz genau: Da ging es gar nicht in erster Linie darum, alles zu verstehen oder bis ins Letzte intellektuell zu durchdringen, wie es eine Predigt, das Kernstück des evangelischen Gottesdienstes, versucht. Hier ging es eher darum, ein Geheimnis zu besingen und anzubeten, das Geheimnis der Liebe Gottes. Nicht nur größer als meine Lateinkenntnisse, sondern höher als jede menschliche Vernunft. Und deshalb die Mitte eines immer wiederkehrenden Ritus, einer heiligen Handlung, einer Wandlung, die von der stetigen Wiederholung lebt, weil sie unerschöpflich ist. Diese heilige Handlung besteht darin, dass in jeder katholischen Messfeier ein Stück Brot, meist in Form einer runden, münzgroßen Hostie in den Leib Christi verwandelt wird. Den Gläubigen, die in der anschließenden Eucharistiefeier dieses Brot zu sich nehmen, kommt Gott dadurch beispiellos nahe, ja, man könnte zugespitzt sagen, sie verleiben sich Gottes Gegenwart ein, auf dass sie sich ausbreite in jede Zelle ihres Körpers und Gottes Liebe den ganzen Menschen durchdringt.  

Die Verehrung dieser Hostie, in der sich der Leib Christi auf geheimnisvolle Weise verbirgt und zeigt, steht im Mittelpunkt beim Hochfest des Leibes und Blutes Jesu Christi, wie der heutige Feiertag offiziell heißt. Eingepackt in ein auffälliges und meist kostbares Schaugefäß, eine Monstranz, wird die Hostie an vielen Orten von einem Priester in langen Prozessionen durch die Straßen getragen. Und dabei wird nun meist alles aufgeboten, was zusätzliche Aufmerksamkeit erzeugen kann: Fahnen, ein Baldachin, weihrauchgefäßschwenkende Ministranten, Erstkommunionkinder in ihren weißen Kleidern und blauen Anzügen, Chöre und Blasorchester. Als ich auf meiner ersten Pfarrstelle zum ersten Mal eingeladen war, an einer solchen Fronleichnamsprozession teilzunehmen und bei der Station vor der evangelischen Kirche eine kleine Ansprache zu halten, habe ich wohl verstanden, dass mir eine große Ehre zuteilwurde, mir war aber offen gestanden auch ein bisschen mulmig. In den Worten von Maria Jepsen wollte ich dann doch lieber in einiger Entfernung unterm Baum sitzen als im prächtigen Zug der Artisten mitzuhüpfen. Im Lauf der Jahre und der Prozessionen hat sich das geändert, und wenn mir auch manches fremd geblieben ist, so habe ich doch eines bei diesen Prozessionen ganz deutlich erlebt: Ein starkes und stärkendes Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören und das auch öffentlich zu zeigen. Monstrare und demonstrare: Ich zeige mich und ich bekenne mich zu dem, was mich trägt.   

Eine dritte Erfahrung ist dagegen auch schmerzlich: Im Sommerurlaub in Italien gehen wir sonntags zur Heiligen Messe. Es ist ein Spektakel unter freiem Himmel. Beim Friedensgruß drücken mir alle Umstehenden die Hand, murmeln pace, Friede sei mit dir. Ich kenne ja keinen, es treibt mir die Tränen in die Augen, der Ritus trägt. Da ist es wieder, das Gefühl einer tiefen Verbundenheit über Grenzen hinweg. Wir nehmen auch an der Eucharistiefeier teil, stellen uns mit all den andern in eine lange Schlange, formen die Hände zu einer Schale, empfangen die Hostie, Nahrung für unseren Glauben. Aber bei meinem Sohn, der in der Reihe vor mir steht, damals vielleicht sechs Jahre alt, stockt die Prozession. Der Priester fragt ihn auf Italienisch, ob er denn schon seine Erstkommunion erhalten habe. Si, si, aber ja, antworte ich schnell und lächle verbindlich, eine glatte Lüge, aber es geht weiter. Wieder reichen die Sprachkenntnisse nicht aus, um zu erklären, dass wir ja evangelisch sind und unsere Kinder regelmäßig auch an den Abendmahlsfeiern in unserer Kirche teilnehmen und dort Brot und Saft mit andern teilen. Plötzlich steht mit Macht das Trennende im Raum.

Denn nach der reinen Lehre darf kein katholischer Priester einem nicht katholisch getauften und entsprechend unterwiesenen Menschen die Hostie reichen.

Zum Glück habe ich auch viele Priesterkollegen erlebt, die das einfach ignoriert haben, auch dann, wenn sie wussten, dass sie eine evangelische Pfarrerin vor sich haben. Ich danke es ihnen sehr. Was für mich aber noch viel wichtiger ist: Nie, niemals habe ich mich davon abhalten lassen, in katholischen Messen an der Eucharistiefeier teilzunehmen. Denn ich glaube fest daran, dass Christus selbst mich einlädt, niemand sonst, und deshalb lasse ich mich auch von keinem Priester davon abhalten. So wie mir in den evangelischen Gottesdiensten die Feier des Abendmahls lieb und teuer ist, so in der katholischen Messe die Feier der Eucharistie. Hier wie dort erlebe ich, dass Brot und Wein und die Gemeinschaft mit anderen meinem Glauben auf eine Art und Weise Nahrung geben, wie kein Wort es vermag. Ich brauche eben beides: Wort und Sakrament. Brot und Bibel. Denn so steht es in dem Buch, ohne das ich nie unterwegs bin: „In der Nacht, in der er verraten wurde, nahm der Herr Jesus das Brot. Er dankte Gott, brach das Brot in Stücke und sagte: »Das ist mein Leib für euch. Tut das zur Erinnerung an mich!« Ebenso nahm Jesus nach dem Essen den Becher und sagte: »Dieser Becher steht für den neuen Bund, den Gott durch mein Blut mit den Menschen schließt. Tut das zur Erinnerung an mich, sooft ihr aus diesem Becher trinkt.«

Den katholischen Christinnen und Christen bin ich dankbar, dass sie dieses Geheimnis der Liebe Gottes im wahrsten Sinne heute hochhalten. Und ich hoffe mit vielen darauf, dass der Tag kommt, an dem evangelische Pfarrerinnen bei Fronleichnamsprozessionen nicht nur biblische Ansprachen vor ihrem Kirchturm halten, sondern diese biblischen Worte auch ihre Wirkung zeigen: „Kommt, denn es ist alles bereit. Schmecket und sehet, wie freundlich unser Gott ist.“ Und dann alle Gäste sind an einem Tisch.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37814
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