Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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30JUN2023
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Eine der Hauptrollen in der Tora-Lesung dieser Woche spielt Bileam, ein Zauberer und Prophet aus dem kanaanäischen Umfeld.  Er wurde von Balak, dem Herrscher des Wüstenstaates Moab beauftragt, die aus Ägypten heraufziehenden Israeliten zu verfluchen.

In einer Passage des Midrasch, der exegetischen Literatur, wird dieser heidnische Prophet neben Moses gestellt.  Der Midrasch mildert seine Aussage jedoch ab, indem er Bileam lediglich mit dem Koch des Herrschers vergleicht, der die Tafel und Küche des Königs genau kennt.  Allerdings haben solche Hofdiener bei Königen oft weitergehende Befugnisse als Minister.  Auch in der Weltliteratur ist das Motiv bekannt, dass unter günstigen Umständen einfache Hofdiener durch List und gewitzte Reden zu Regenten wurden. Danach wagte am Hof niemand mehr, an ihren Fähigkeiten zu zweifeln.  Bileam hatte wahrscheinlich etwas Ähnliches im Sinn, bevor er in Balaks Dienst trat.  Er scheiterte jedoch in seinem Vorhaben und musste am Ende die Israeliten loben, statt sie zu verfluchen, denn er konnte nur die Worte aussprechen, die G-tt ihm in den Mund legte.  Seither gilt Bileam als Paradebeispiel für den falschen Propheten, der die menschliche Schwäche ausnutzen will, die den klaren, kritischen Verstand unterdrückt.  Ein wahrer Prophet nach biblischem Verständnis strebt danach, zur g-ttlichen, absoluten Wahrheit vorzudringen.  Er ist jedoch voller Zweifel, ob es ihm jemals gelingen wird, sein Werk oder seine Mission zu erfüllen.  Er lässt sich nicht von seinen Instinkten diktieren, ebenso wenig wie von einer schöpferischen Gabe.  Fast möchte man sagen, dass Bileam für den Midrasch ein solcher Prophet war, der nur durch sein Talent und seine Rhetorik neue Höhen erreichen wollte, während ihn Gerechtigkeit, Wahrheit, Moral und Ethik kalt ließen.

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